
Hopp oder topp: Wie stabil ist der Aufschwung bei DAX und Co. wirklich?
Wie groß die Diskrepanz zum großen Bruder ist, zeigt ein Blick auf die zweite und dritte Reihe der deutschen Aktienindizes: Während der DAX bei rund 16.000 Punkten und auf dem Hoch vom November 2021 notiert, fehlen MDAX und SDAX zu ihren bisherigen Höchstständen zwischen 15 und 20 Prozent. Ähnlich sehe die Situation in den USA aus, so Vermögensbetreuer Georg Weimer von der Spiekermann & CO AG in Osnabrück: „Dort ziehen große Technologie-Titel wie Apple, Microsoft und Nvidia die Nasdaq nach oben. Doch der der Index für die kleinen Werte steht nahe am Oktober-Tief.“
Auf wie vielen Zylindern läuft der Aufschwung?
Ob der Motor eines Aktienaufschwungs auf ein, zwei oder allen Zylindern läuft, lässt sich nicht nur anhand von Indizes feststellen. Wer unter die Motorhaube des Aktienmarktes blicken will, kann auch die Marktbreite nutzen. „Die Marktbreite misst etwa, wie viele Aktien ein neues Hoch oder ein neues Tief erreicht haben. Besonders beachtet wird aber, wie viele Aktien über oder unter ihrer 200-Tage-Linie notieren“, so Stephan Albrech von der Albrech & Cie. Vermögensverwaltung AG in Köln. Der Grund für die hohe Aufmerksamkeit: Eine Aktie, deren Kurs oberhalb des durchschnittlichen Kurses der letzten 200 Tage liegt, hat nach weithin akzeptierter Auffassung ihren Abwärtstrend beendet. Auf mittlere bis längere Sicht dürfte ihr Kurs (weiter) steigen.

Indizes zeigen nur das halbe Bild
Ende Mai sorgte die Marktbreite in dieser Hinsicht noch für Sorgenfalten bei professionellen Anlegern: Von mehr als 8.000 Aktien, die an den US-Börsen gehandelt werden, notierten nur 30 Prozent über der 200-Tage-Linie, satte 70 Prozent lagen darunter. In den vergangenen Wochen hat sich die Marktbreite etwas gebessert: Mitte Juni schaffte es immerhin die Hälfte der Aktien über diesen gleitenden Durchschnitt – „ein gutes Zeichen“, wie Vermögensprofi Georg Weimer findet. Ähnlich gestaltet sich das Bild in Europa. Freilich lässt auch ein Anteil von 50 Prozent die Börsen-Bäume noch nicht in den Himmel wachsen.
Groß-Investoren mit gebremsten Risiko-Appetit
Was sind die Ursachen für die Zurückhaltung? „Entscheidend ist letztlich ein einziger Grund: Die großen institutionellen Investoren kaufen derzeit lieber die Dickschiffe der Technologie-Branche mit unzweifelhaft starker Position, hervorragenden Absatzzahlen und ordentlichem Cash-Flow sowie andere eher defensive Werte“, sagt Vermögensverwalter Albrech. So liegen im DAX über ein Jahr hinweg Versicherungen vorn. Das vermutliche Kalkül der Groß-Investoren: Eine unsichere Konjunktur dürfte diesen Giganten, die auf Bergen von Geld sitzen, weniger anhaben als zyklischen Unternehmen, bei denen sich zudem höhere Kosten für die Finanzierung bemerkbar machen. Zudem bremsen die noch immer hohe Inflation sowie mögliche weitere Zinssteigerungen den Risikoappetit der institutionellen Anleger.
Mit verwirrenden Signalen umgehen
Was bedeutet die aktuelle Lage nun für Anleger? Wer auf die Indizes der ersten Reihe achtet, hat zumindest in Europa entweder den Eindruck, der Zug könnte bereits abgefahren sein oder er vermutet, DAX & Co. seien zu weit vorausgefahren und könnten bald (spürbar) zurückkommen. Beim Blick auf die zweite und dritte Reihe indes stellt sich eine andere Frage: Haben diese Titel ein neues Tief vor sich oder bieten sie jetzt besonders viel Potenzial? Eine verwirrende Situation, mit der viele Anleger nicht gut zurechtkommen!
Maß und Mitte halten als Ziel
Vermögensprofis wie Georg Weimer raten in solchen Zeiten zu Maß und Mitte: Aktuell sei weder die Zeit, den Aktienmarkt zu meiden oder sich daraus zurückzuziehen – noch die Zeit, die eigene Aktienquote voll auszuschöpfen. Wer mit großen Indizes wie DAX oder Euro Stoxx bzw. mit Blue-Chip-Aktien ordentliche Gewinne erzielt habe, könne bei dem einen oder anderen Wert zumindest teilweise Kasse machen. Dieses Geld könne dann in qualitativ hochwertige und günstige Aktien bzw. in ETFs aus den mittleren und kleineren Segmenten fließen. „Auf diese Weise können Anleger ihre Gewinne verwenden, um antizyklisch relativ günstig Aktien zu kaufen. Das ist langfristig in aller Regel von Vorteil“, so Weimer.
Die günstigsten ETFs für große und kleine Aktien weltweit
ETF | ISIN | Volumen | Kosten | Region |
Fokus auf Mega Caps / Big Caps | ||||
Xtrackers DAX | LU0274211480 | 4,2 Mrd. € | 0,09 % | Deutschland |
Lyxor Stoxx 600 Europe | LU0908500753 | 5,8 Mrd. € | 0,07 % | Europa |
iShares Core S&P 500 | IE00B5BMR087 | 54,2 Mrd. € | 0,07 % | USA |
Lyxor Core MSCI World | LU1781541179 | 2,7 Mrd. € | 0,12 % | Industrieländer |
Vanguard FTSE All World | IE00BK5BQT80 | 6,6 Mrd. € | 0,22 % | Industrie- und Schwellenländer |
Quelle: justetf.com / Stand: 14.06.2023 / Recherche: Jürgen Lutz
ETF | ISIN | Volumen | Kosten | Region |
Fokus auf Mid Caps / Small Caps | ||||
Invesco MDAX | IE00BHJYDV33 | 280 Mill. € | 0,19 % | Deutschland |
iShares MSCI Eur. Mid Cap | IE00BF20LF40 | 61 Mill. € | 0,15 % | Europa |
SPDR MSCI Eur. Small Cap | IE00BKWQ0M75 | 134 Mill. € | 0,30 % | Europa |
SPDR S&P 400 Mid Cap | IE00B4BJ215 | 1,5 Mrd. € | 0,30 % | USA |
SPDR Russell 2000 Small Cap | IE00BJ38QD84 | 1,6 Mrd. € | 0,30 % | USA |
iShares Edge MSCI W. Size | IE00BP3QZD73 | 210 Mill. € | 0,30 % | Industrieländer Mid Cap |
iShares MSCI W. Small Cap | IE00BF4RFH31 | 2,8 Mrd. € | 0,35 % | Industrieländer Small Cap |
Quelle: justetf.com / Stand: 14.06.2023 / Recherche: Jürgen Lutz
Interview mit Stephan Albrech: „Mit der Marktbreite schauen Anleger in den Motor des Aktienmarkts“
Herr Albrech, was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem breiten Markt und der Marktbreite?
Stephan Albrech: Indizes wie der S&P 500 oder der MSCI World, die Hunderte oder gar Tausende von Aktien umfassen, werden im Allgemeinen als breiter Markt bezeichnet. Die Marktbreite indes gibt an, welcher Anteil der Aktien sich zum Beispiel in einem längerfristigen Aufschwung befindet oder ein neues Hoch bzw. Tief erreicht hat.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Info, die man der Marktbreite entnehmen kann?
Albrech: Mit der Marktbreite schauen Anleger quasi in den Motor des Aktienmarkts. Aus der Sicht der Vermögensverwaltung ist vor allem die längerfristige Kursentwicklung interessant. Daher achten wir vor allem auf die Frage, wie viele Aktien über oder unter ihrer 200-Tage-Linie liegen.
Warum das?
Albrech: Eine Aktie, die über ihrem durchschnittlichen Kurs der vergangenen 200 Börsentage notiert, dürfte nach allgemeiner Auffassung auf längere Sicht steigen. Je mehr Aktien dieses Kriterium erfüllen, desto gesünder ist also ein Aufschwung am Aktienmarkt. Für die mittlere Frist ist der gleitende Durchschnitt der letzten 50 Tage ein guter Indikator.
Wieso erkennt man über die Marktbreite denn etwas, das die Aktienindizes so nicht zeigen?
Albrech: Die mögliche Diskrepanz zwischen einem Index und der Marktbreite entsteht, weil die Aktien in den meisten Indizes je nach ihrem Börsenwert ein sehr unterschiedliches Gewicht haben können. So wiegt etwa die Apple-Aktie mit ihren Tausenden von Milliarden an Börsenwert so viel wie Hunderte von kleineren Aktien zusammen. Steigt die Apple-Aktie deutlich, zieht das den Index hoch – auch wenn viele kleinere Titel gar nicht vom Fleck kommen.
Das bedeutet: Anleger sollten immer wieder mal prüfen, wie sich die Marktbreite entwickelt – insbesondere, wenn die Indizes neue Höchststände oder Tiefstkurse erreichen?
Albrech: Ja, genau. Spannend wird es vor allem, wenn die Indizes steigen, die Marktbreite aber zurückgeht. Diese Diskrepanz zeigt, dass nur wenige große Pferde den Wagen ziehen. Index-Anleger sollten dann weiter investiert bleiben, sich aber nicht von der Euphorie der Märkte übermannen lassen.
Wo können Anleger nachlesen, wie sich die Marktbreite entwickelt?
Albrech: Auf der Website www.finviz.com etwa wird börsentäglich gezeigt, wie viele Aktien sich über ihrer der 200-Tage-Linie bewegen (SMA200). Diese Informationen sind zwar auf die USA bezogen. Da dieses Land die Kapitalmärkte weltweit stark beeinflusst, sind sie aber auch für Anleger hierzulande nützlich.
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