
„Sell in May“: Warum Anleger diese Börsenweisheit besser ignorieren
Inhalt:
- „Sell in May“: Warum Anleger diese Börsenweisheit besser ignorieren
- Servicegrafik: So viel Rendite versäumten Anleger mit „Sell in May“ (SIM) in 21 Jahren beim S&P 500
- Interview mit Burkhard Wagner, Partners Vermögensmanagement AG in München: “Die richtig gefährlichen Monate sind oft August und September”
- Infokasten: Wichtige Fakten für und gegen “Sell in May”
Wer empfiehlt, Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verkaufen, muss auch sagen, wann Anleger die Papiere zurückkaufen sollten, um mit dieser Strategie besser zu fahren als mit einem Dauer-Investment. „Dieser Teil der Börsenweisheit kommt bei der Diskussion um Verkäufe im Mai oft zu kurz“, sagt Burkhard Wagner von Partners Vermögensmanagement in München. Nach den Worten des Vermögensverwalters setzt sich „Sell in May and go away“ fort mit den Worten „But come back on St. Leger’s Day“. Das ist der 15. September.
Saisonale Muster treten nicht jedes Jahr auf
In der Tat war und ist seit über mehr als 100 Jahren zu beobachten: Es gibt an den Börsen aus unterschiedlichen Gründen saisonal stärkere und schwächere Zeiten. Allerdings treten diese saisonalen Unterschiede zum einen längst nicht in jedem Jahr zu Tage, sondern erst über eine längere Frist. Zum anderen haben sich mit dem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt auch die Zeiträume für saisonal starke und schwache Phasen etwas verschoben. „So ist die Bedeutung der Landwirtschaft als Wirtschaftstreiber in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geschrumpft. Dienstleistungen und Digital-Wirtschaft tragen weitaus mehr zur Wertschöpfung bei“, sagt Werner Krieger von der GFA Vermögensverwaltung im badischen Herbolzheim. Seit etlichen Jahren gelten daher auch der restliche September sowie der Oktober als kritische Zeiträume, in denen DAX & Co. oft in den Keller rauschen.
In 21 Jahren funktionierte die Mai-Strategie nur vier Mal
Doch wie wäre ein Anleger in den Jahren seit 2003 gefahren, der sich an die veränderten Umstände angepasst hätte – also Ende Mai etwa den breiten US-Markt verkauft und ihn sechs Monate später Anfang November erneut gekauft hätte?
„In gut drei Viertel der Jahre seit 2003 wären Anlegern mit dieser Strategie Rendite entgangen, weil der S&P 500 Ende Oktober höher stand als Ende Mai“, so die Bilanz von Vermögensprofi Wagner.
Eine Auswertung des Autors ergab, dass Anleger, die Ende Mai verkaufen und Anfang November kaufen, gegenüber einem Dauer-Investor jährlich im Schnitt 2,8 Prozentpunkte an Rendite verloren hätten (Tabelle). Beim DAX kam diese Strategie auf sehr ähnliche Ergebnisse, da sich der Index sich fast parallel zu den US-Taktgebern entwickelt.
So viel Rendite versäumten Anleger mit „Sell in May“ (SIM) in 21 Jahren beim S&P 500*
Jahr | Stand S&P 500 bei Verkauf am 31.05. | Stand S&P 500 bei Kauf am 01.11. | Entgangene Rendite | Vermiedener Verlust |
---|---|---|---|---|
2003 | 964 | 1.051 | 11,1 % | |
2004 | 1.120 | 1.130 | 0,1 % | |
2005 | 1.191 | 1.207 | 1,4 % | |
2006 | 1.270 | 1.378 | 8,5 % | |
2007 | 1.482 | 1.549 | 4,5 % | |
2008 | 1.400 | 969 | 30,8 % | |
2009 | 919 | 1.036 | 12,7 % | |
2010 | 1.089 | 1.183 | 8,6 % | |
2011 | 1.345 | 1.253 | 6,8 % | |
2012 | 1.310 | 1.412 | 7,8 % | |
2013 | 1.631 | 1.756 | 7,7 % | |
2014 | 1.923 | 2.018 | 4,9 % | |
2015 | 2.107 | 2.079 | 1,3 % | |
2016 | 2.097 | 2.126 | 1,4 % | |
2017 | 2.412 | 2.575 | 6,8 % | |
2018 | 2.705 | 2.712 | 0,3 % | |
2019 | 2.752 | 3.038 | 10,4 % | |
2020 | 3.044 | 3.270 | 7,4 % | |
2021 | 4.204 | 4.605 | 9,5 % | |
2022 | 4.132 | 3.872 | 6,3 % | |
2023 | 4.180 | 4.193 | 0,3 % | |
Addierte Renditen | 103,4 % | minus 45,2 % = 58,2 % | ||
Verlust durch „SIM“ pro Jahr im Schnitt | 2,8 % |
* Basis: Index S&P 500 (ohne Dividenden) / Renditen wurden nicht kumuliert / Quelle: finance.yahoo.com Recherche: Jürgen Lutz
Mai-Strategie trägt ihre Früchte in schlechten Jahren
Was dabei auffällt: In den vier betreffenden Jahren stachen wichtigere Faktoren das Thema der Saisonalität aus. Die Zeiträume, in denen ein Verkauf Ende Mai Vorteile gebracht hätte, waren 2008, 2011, 2015 und 2022. „2008 hatten wir aufgrund der Finanz- und Bankenkrise den größten Bärenmarkt der letzten 20 Jahre, als die Indizes bis zu 60 Prozent an verloren. Und 2022 kam es durch die Zinserhöhungen der Notenbanken ebenfalls zu einem Aktieneinbruch“, sagt Vermögensprofi Krieger. 2011 war das Jahr der Staatschuldenkrise im Euroraum, in dem die Solvenz von Griechenland und Italien zur Diskussion stand. 2015 schließlich atmeten die Aktienmärkte nach drei starken Jahren aus und holten Atem für den nächsten Aufschwung.
Langfristiger Trend hat größeres Gewicht als Saisonalität
In drei von vier Fällen sorgten also bedeutsame Ereignisse dafür, dass der Optimismus einem (ausgeprägten) Pessimismus wich und dem vorigen Aufwärtstrend fürs Erste ein Ende setzte. Damit aber ist letztlich ein anderer Faktor als die Saisonalität wichtiger für die Frage, ob zeitweilige Verkäufe von Aktien bzw. Fonds oder ETFs sinnvoll sind: der mittel- bzw. längerfristige Trend, der oft mit gleitenden Durchschnitten wie dem 40- oder 50-Wochen-Durchschnitt der Kurse ermittelt wird. „Gerät der Aktienmarkt unter diese gleitenden Durchschnitte, erholen sich die Kurse entweder rasch oder es kann für einige Zeit richtig ungemütlich werden“ sagt Burkhard Wagner. Letzteres war 2022 und – besonders ausgeprägt – im Jahr 2008 der Fall, als der DAX rund 60 Prozent an Wert verlor.
Gleitende Durchschnitte als Entscheidungshilfe
Fazit: Anleger, die „Sell in May“ anwenden, wollen sich mit dieser Strategie vor möglichen Schwächephasen zwischen Anfang Juni und Ende Oktober schützen. Die Analyse der letzten 21 Jahre zeigt jedoch, dass sie damit bei konsequenter Anwendung einen wesentlichen Teil der Rendite verpasst hätten. Eine bessere Absicherung vor (gravierenden) Abschwüngen wie 2008 und 2022 ist es, zu verkaufen, wenn der Kurs etwa des DAX den 40-Wochen-Durchschnitt am Ende der Handelswoche unterschritten hat. Es gibt jedoch einen Preis für diese Absicherung: Eventuell dreht der Kurs bald wieder über den gleitenden Durchschnitt. Dann muss der ETF teurer zurückgekauft werden – dies jedoch nur, wenn dieser längerfristige Trend nicht fällt.
Sell in May – or better stay? Aktienanalyse 2024 mit Vermögensverwalter Andreas Glogger
Der DAX hat im Zuge seiner aktuellen Rally fast die 19.000 Punkte-Marke erreicht und diesem Jahr somit bereits rund 12 Prozent zugelegt. Macht die alte Börsen-Weisheit “Sell in May and go away” diesmal also ganz besonders Sinn? Oder sollten Anleger investiert bleiben, frei nach dem Motto “better stay”?
Vermögensverwalter Andreas Glogger hat sich die aktuell bestimmenden Faktoren, wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis im Mai 2024, genauer ansehen und kommt zur Erkenntnis, dass Aktien jetzt besser nicht…? Aber schauen sie einfach selbst ins Video mit dem Geschäftsführer von GLOGGER & PARTNER rein.
Interview mit Burkhard Wagner, Partners Vermögensmanagement AG in München
Herr Wagner, viele Anleger kennen den Börsenspruch „Sell in May and go away“. Was steckt dahinter?
Burkhard Wagner: An der Börse gibt es laut Statistik besonders ertragreiche Monate und weniger gute Monate. So ist das Sommer-Halbjahr eher schwach, während in Wintermonaten die Zuwächse bei den Aktienkursen am höchsten sind. Wer in den vergangenen Jahrzehnten konsequent von November bis April investiert und dann verkauft hätte, wäre deutlich besser gefahren als ein Anleger, der genau umgekehrt vorgegangen wäre.
Welche Gründe kann es für diese saisonalen Tendenzen geben?
Wagner: Wir haben es hier mit vielen Ursachen zu tun, die sich nicht abschließend bestimmen lassen. So wollen Investmentfonds zum Jahresende eine gute Jahresperformance ausweisen und treiben die Kurse gut gelaufener Aktien hoch. Zinserträge aus Anleihen werden zum Jahreswechsel frei und dann teils am Aktienmarkt investiert, ebenso das Weihnachtsgeld. In den Herbstmonaten können die Hoffnungen auf ein gutes Weihnachtsgeschäft die Kurse nach oben treiben.
Aus welchen Gründen ist denn der Sommer traditionell schwach?
Wagner: Die Realität sieht anders aus als dieses Klischee, denn im Juni und Juli steigen des Öfteren die Kurse. Der August und insbesondere der September neigen zur Schwäche. Rückgänge können am Sommerurlaub der großen Akteure und dem dadurch bedingten dünnen Handel liegen, sodass sich die Kurse dann leichter beeinflussen lassen. Kommt es zu einem solchen Rückgang, endet dieser oft im Oktober oder November – so war es etwa 2022 und 2023.
Wäre es dann sinnvoll, vor allem während der Wintermonate investiert zu sein?
Wagner: Das glaube ich nicht. Zum einen weisen die Aktienmärkte auf längere Sicht einen konstanten Aufwärtstrend auf. Wer fünf Monate von Juni bis Oktober nicht am Markt ist, riskiert daher, einen Gutteil dieses Aufschwungs zu verpassen, wenn auch diese Monate gut laufen.
Und zum anderen?
Wagner: Zum anderen müssen Anleger diese Strategie ohne Wenn und Aber umsetzen. Das heißt, sie müssen Ende Mai verkaufen und auch stillhalten, wenn die Kurse munter weiter steigen. Und sie müssen im November erneut kaufen, selbst wenn die Kurse 10 Prozent höher stehen als im Mai oder 20 Prozent darunter liegen. Diese Disziplin haben nur wenige Anleger.
Wichtige Fakten für und gegen „Sell in May“
Pro „Sell in May“:
- Laut Statistik ist die Wahrscheinlichkeit höher, in guten Monaten investiert zu sein und schlechte Phasen zu meiden
- Vermeidet die tatsächlich kritische Börsenphase über die Monate August und September
Contra „Sell in May“:
- Strategie unterscheidet nicht, ob sich die Börse in einem längerfristigen Aufwärts- oder Abwärtstrend befindet. Der Faktor „Trend“ ist aber wichtiger als „Saisonalität“.
- In den letzten 21 Jahren hätten Anleger mit „Sell in May“ spürbar schlechter abgeschnitten als mit einem Dauer-Investment.
- Saisonale Phasen sind nicht mehr so ausgeprägt wie früher. Im Juni und Juli legen die Kurse oft noch zu.
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