
Ukraine-Krise und Zinswende: Was sollen Anleger jetzt tun?

Herr Dr. Zschaber, wie haben Sie im Hinblick auf diese beiden Risikofaktoren zuletzt Depots Ihrer Kunden umgeschichtet, um sie stabiler zu machen?
Dr. Markus C. Zschaber: Nach einem sehr positiven Börsenverlauf in 2021 haben wir bereits im Januar 2022 in fast allen Vermögensverwaltungslösungen unseres Hauses zwischen 15 Prozent und 20 Prozent an Liquidität aufgebaut. Grund war nicht die panische Reaktion der Fed (durch die eigene Fehleinschätzung der Inflation), nun mit dem Zinserhöhungszyklus zu beginnen und möglicherweise gleichzeitig die US-Notenbilanz seitens der gehaltenen Papiere zu verkürzen, sondern unsere eigenen Szenarien seitens einer ausufernden Inflation in beiden großen Wirtschaftsräumen, also den USA und Europa, welches wir bereits ab Anfang 2021 sahen.
Die Fed hat die Inflation also falsch eingeschätzt?
Zschaber: Der Verlauf der Inflation ist lehrbuchartig gewesen, sei es abgestellt auf die Geldmengenerweiterung der vergangenen 10 Jahre als auch die durch die Corona-Pandemie ausgelösten weltweiten Engpässe seitens der Produktionsprozesse. Hier galt die klassische Formel: Eine hohe Nachfrage trifft auf ein niedriges Angebot. Dazu konnte man bereits Anfang des Jahres die enorme Entwicklung der Erzeugerpreise erkennen, also ebenfalls inflationswirkend. Mit Blick auf die Energiepreise und auch unsere politisch gewollten Veränderungen musste man nur 1 und 1 zusammenzählen. Diese Fehleinschätzung von Jerome Powell für die USA als auch von Christine Lagarde bezeichne ich als wirklich ein absolutes Drama, denn der Verbraucher leidet immens.
Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für Privatanleger? Sollten diese jetzt besser Wertpapiere verkaufen?
Zschaber: Hinsichtlich der jetzigen Eskalation um die Ukraine muss uns allen bewusst sein, dass neben der tragischen menschlichen Komponente es sicherlich für einzelne Unternehmen und damit auch Branchen wesentlich schwieriger werden wird, die Umsatzerwartungen zu erfüllen.
Eine panische Verkaufsaktion sollte allerdings gut überlegt werden. Zunächst haben wir innerhalb der einzelnen Depotstrategien geprüft, welche Sektoren ein höheres Risiko aufweisen und mögliche Geschäftsmodelle unter der sich nun anschließenden Krise leiden. Zu berücksichtigen ist auch, dass das globale Wirtschaftswachstum sicherlich niedriger ausfallen wird. Man muss bei dieser Betrachtung allerdings auch berücksichtigen, dass je nach Verlauf des Krieges es bei Neutralisierung des Kriegsrisikos zu einer heftigen, positiven Marktbewegungen kommen kann. Damit würde ein unüberlegter Verkauf einzelner Aktien oder der Veränderung von Branchenstrukturen innerhalb der Portfolios zum jetzigen Zeitpunkt auch ein großes Risiko darstellen.
Die Aktienkurse leiden derzeit und sicherlich weiter. Wir setzen überwiegend auf einzelne Aktienunternehmen, deren langfristiges Wachstumspotenzial vorhanden und deren Geschäftsmodell ebenso langfristig überzeugt haben. Ebenso setzen wir auf Value-orientierte Aktien. Neben der Qualität der einzelnen Investments ist natürlich die breite Diversifikation wichtig.
Was können Anleger jetzt noch tun, um ihre Depots und ihr Vermögen (jenseits der Wertpapiere) stabiler aufzustellen?
Zschaber: Zunächst einmal Ruhe bewahren – hektische Handlungen haben in der Vergangenheit immer Rendite gekostet. Dann das Depot auf wirkliche Risikopositionen prüfen, die möglicherweise durch eine veränderte Situation zukünftig stärker leiden und ein eingeschränkteres Erholungspotential haben, also ein Sektor- und Branchentest. Eine Anlage- und Vermögensstrategie sollte immer mehrere Säuen haben, sei es Immobilien, Aktien, Edelmetalle usw. Abhängig natürlich vom Individualvermögen.
Was könnte man vorsichtigen Anlegern raten?
Zschaber: Vorsichtige Anleger sollten definitiv die Sparpläne fortsetzen. Sie können jetzt den Cost-Average-Effekt nutzen, also bei niedrigen Kursen kontinuierlich kaufen.
Und was könnte man den chancenorientierten Anlegern raten?
Zschaber: Angenommen, ich wollte eine Aktienposition mit 50.000 € aufbauen, dann können chancenorientierte Anleger durchaus einmal ein Fünftel davon in den Markt geben. Dann können sie sich selbst einen Zeitplan machen, egal wie es an der Börse steht, um den Rest zu investieren. Beispielsweise alle 3 Wochen ein weiteres Fünftel investieren. Das Ziel ist bei dieser Vorgehensweise ebenfalls der Durchschnittskurs.
Generell: Es gibt keine Rendite mehr ohne Risiko. Das Verwahrentgelt und die Inflation vernichten die Kaufkraft. Die Aktie als Sachwert schützt das Kapital durch eine reale Unternehmensbeteiligung auf lange Sicht. Jeder Anleger sollte eine langfristige und ausgewogene Anlagestrategie haben, die auch Schwankungen stärkerer Art durchleben kann. Dabei gilt sowohl der Dividendenansatz als auch der Blick auf Trends, Zukunftsbrachen, Valueaspekte usw.
Und eines noch: Die für mich wichtigste Schlussfolgerung ist sehr, sehr einfach: Es sind und bleiben Menschen, die die Vermögen der Kunden steuern. Der Ruf nach Robo-Advisors und Algorithmen und auch die Vermögenssteuerung auf Basis der ETF-Trends sind mehr als zu hinterfragen. Fast alle bewährten Risikomodelle haben wie schon 2008 und 2020 versagt. Entweder zu früh oder gar nicht raus aus dem Markt – und dann zu spät wieder hinein oder gar nicht. Das Resultat kann sich jeder denken! Uns helfen langfristige Erfahrung, Mut, Nervenkostüm, viele schlaflose Nächte in den Entscheidergremien, derzeit Wochenendarbeit bis zum Umfallen und auch ein wenig Glück.
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