Die Zinsen steigen: Hopp oder Topp für Anleihen und Rentenfonds?

Die Zinsen steigen: Hopp oder Topp für Anleihen und Rentenfonds?


Das Blutbad an den Finanzmärkten im ersten Halbjahr hat auch gute Seiten: Aktien sind billiger zu haben als zuvor. Und für Zinspapiere gibt es ansatzweise wieder das, was im Namen steht: Zinsen! Ist damit nun die Zeit gekommen, um sich Rentenfonds und Anleihen ins Depot zu legen? Und was macht man bei Verlusten mit Rentenfonds?

Wenn Aktien einbrechen, wirken als sicher geltende Staatsanleihen oft wie eine Stütze für das Depot. Doch im ersten Halbjahr 2022 ging das Zusammenspiel komplett daneben. Der Grund: Wegen Inflation und Zinswende bekamen viele sogenannte Bonds auf die Mütze, statt eine Stütze zu sein.

Zinswende setzt Anleihen kräftig unter Druck

Vor allem die Kurse von Anleihen mit Laufzeiten von zehn Jahren und mehr sind deutlich eingebrochen. Das bekamen die Besitzer von Rentenfonds zwischen Flensburg und Freiburg zu spüren. Nach Angaben des Branchenverbands BVI haben Euro-Rentenfonds mit mittlerer und langer Laufzeit zwischen 1. Juni 2021 und 31. Mai 2022 zwischen 7,8 und 9,3 Prozent an Wert verloren. Das ist vermutlich nicht das, was sich Anleger vorstellen, wenn sie sich mit dem Wunsch nach Stabilität und Sicherheit „Rentenfonds“ ins Depot legen. Bei Anleihen gilt die Faustregel: Je länger die Laufzeit, desto höher fallen die Kursverluste bei Zinserhöhungen aus. Umgekehrt profitieren sie bei längerer Laufzeit stärker, wenn die Zinsen fallen.

Verluste mit 100-jähriger Staatsanleihe
Sie gelten als sicher und sind doch ziemlich unberechenbar: Anleihen von Industrieländern wie Deutschland. Im Herbst 2017 hat der Nachbar Österreich eine Anleihe mit einer Laufzeit von 100 Jahren (WKN: A19PCG) emittiert. Der Kurs des Papiers, dessen ultralange Laufzeit bei der Emission für Schlagzeilen sorgte, schoss parallel zu den weiter sinkenden Anleiherenditen zunächst deutlich nach oben, bevor ab 2020 ein spektakulärer Sinkflug einsetzte. Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat die Anleihe stellenweise mehr als 50 Prozent an Wert verloren, wie die Grafik zeigt. Wer das Papier noch im Depot hat, weil er sich von der PR des österreichischen Staates hat ködern lassen, dürfte bei dieser Talfahrt eine ganz eigene Sichtweise auf den Begriff „sichere Staatsanleihen“ gewonnen haben.

USA liegen bei den Renditen vorne

Der Kurseinbruch hat jedoch auch gute Seiten, denn die Renditen von Anleihen sind gestiegen. So kletterte die Rendite für die zehnjährige US-Staatsanleihe Mitte Juni laut dem Portal www.investing.de auf 3,5 Prozent und erreichte damit Sphären, von denen Anleger seit Jahren nur träumen konnten. Inzwischen hat der Anstieg etwas nachgelassen, doch vor allem in den USA sind die Zinsen bzw. Renditen Anfang Juli immer noch sehr attraktiv. „Für amerikanische Anleihen mit zwei Jahren Laufzeit gibt es derzeit 2,9 Prozent. Das ist sogar etwas mehr, als zehnjährige Papiere bringen“, sagt Daniel Kolb von Heidelberger Vermögen.

Europa backt kleinere Zins-Brötchen

Wer in Europa solche Renditen haben will, muss sich schon nach Süden orientieren, etwa nach Italien. Allerdings darf man sich dort gleich für acht Jahre verpflichten, um knapp drei Prozent Rendite pro Jahr zu bekommen. Und in Deutschland? Hier rentiert die zehnjährige Staatsanleihe Anfang Juli mit 1,15 Prozent. „Das ist zwar deutlich mehr als noch vor einigen Monaten, als die Rendite negativ war, aber bei dieser langen Laufzeit nicht attraktiv“, meint Vermögensverwalter Kolb. Für die zweijährige Bundesanleihe gibt es knapp 0,4 Prozent, die fünfjährige Obligation bringt 0,8 Prozent. Für Anleger stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Ist bereits die Zeit, bestimmte gut verzinste Anleihen oder günstige Rentenfonds zu kaufen? Oder wäre es nicht gescheiter, solche Fonds bzw. Anleihen aus dem Depot zu werfen, um weiteren Schaden zu vermeiden?

Lohnen sich Anleihen bei einer Inflation von acht Prozent überhaupt?

Viele Anleger fragen sich, ob sich Anleihen bei einer Inflationsrate von acht Prozent überhaupt lohnen. Intuitiv würden wohl die meisten mit „Nein“ antworten. Doch: „Entscheidend ist nicht die aktuelle Inflationsrate. Es zählen vielmehr die Inflationserwartungen“, sagt Markus Sack von Finanzinvest Consulting mit Niederlassungen in Jettingen-Scheppach und Buxtehude. Dabei hilft ein Blick zu den großen Händlern am Anleihemarkt: Über einen Zeitraum von fünf Jahren rechnen sie in den USA mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von noch 2,5 Prozent. Das ist deutlich weniger als im März, als sie von 3,6 Prozent ausgingen. Insofern sind die aktuellen Anleiherenditen von um die drei Prozent für fünfjährige Anleihen okay. Die Erwartungen können sich aber auch ändern.

Wie entwickeln sich die Zinsen zwischen Inflation und Rezession?

Die Inflation ist derzeit nicht das einzige Problem der Notenbanken. Durch Zinswende, Lieferketten-Probleme und den Krieg in Europa haben sich nach den Worten von Markus Sack auch die konjunkturellen Aussichten eingetrübt. „Das kann bedeuten, dass der Druck, die Zinsen weiter zu erhöhen, bald nachlässt. Die US-Notenbank hat bereits Anfang Juli die Risiken für die Wirtschaft betont, falls die Zinsen zu stark steigen“, so der Vermögensprofi. Kommt es so, dann könnte das aktuelle Kursniveau eine günstige Gelegenheit für den Einstieg darstellen. Ein Verkauf hingegen würde sich in diesem Szenario nicht empfehlen.

Sind die aktuellen Anleihe-Kurse tatsächlich schon der Boden?

So genau kann das derzeit niemand sagen. Erhöhen die Federal Reserve und auch die EZB die Zinsen stärker als derzeit erwartet, um die Inflation zu bremsen, wird es bei vielen Anleihen und Rentenfonds wohl zu weiteren Kursverlusten kommen. „Nehmen die Währungshüter aber die Konjunktur in den Blick und erhöhen die Zinsen deshalb weniger, als der Markt annimmt, werden die Kurse von Rentenfonds und Anleihen tendenziell zulegen“, sagt Daniel Kolb. Das Problem, so der Vermögensverwalter: Die Daten seien so durchmischt, dass eine klare Aussage unmöglich erscheint. Außerdem ist unklar, wie die Notenbanken diese Daten interpretieren werden. Kolbs Fazit: „Anleger müssen da auf Sicht fahren und sich aktuell informieren.“

Was ist, wenn ich in meinem Depot einzelne Anleihen habe?

Wer bereits einzelne Anleihen gekauft hat, mit der Rendite zufrieden ist und das Geld nicht benötigt, kann diese Papiere bis zum Ende ihrer Laufzeit halten. „In diesem Fall entstehen auch bei längeren Laufzeiten keine Kursverluste“, sagt Daniel Kolb. Kommt es tatsächlich zu einer Abkühlung der Konjunktur, könnten diese Anleihen im Kurs sogar zulegen, woraus sich eventuell eine bessere Gelegenheit zum vorzeitigen Ausstieg ergeben kann.

Was ist mit Rentenfonds und Renten-ETFs im Depot?

Bei Rentenfonds und Renten-ETFs werden mehrere Rentenarten, etwa Staats- und Firmenanleihen, sowie verschiedene Laufzeiten in einem Produkt gebündelt. Wer vorrangig Fonds oder ETFs mit mittleren bis langen Laufzeiten im Depot hat, blickt derzeit auf höhere Buchverluste als Anleger, die auf Produkte mit kürzeren Laufzeiten gesetzt haben. „Wer glaubt, bei einem spürbaren Zinsanstieg wegen der weiteren Verluste die Nerven zu verlieren, sollte besser auf kürzere Laufzeiten ausweichen“, rät Markus Sack. Allerdings profitieren Kurzläufer nicht so stark, falls die Zinsen wegen einer Konjunkturdelle nachgeben.

Was sollten Anleger tun, die an Anleihe-Käufe denken?

Anleger, die neu oder zusätzlich Anleihen oder einen Rentenfonds bzw. Renten-ETF kaufen möchten, dürften derzeit in den USA wohl am besten bedient sein. Dort gibt es, wie erwähnt, schon für zweijährige Papiere eine Rendite von knapp drei Prozent. Ein Nachteil bei US-Engagements kann die Entwicklung des Wechselkurses sein: „Gibt der Dollar während der Laufzeit zum Euro nach, kann das die Rendite komplett aufzehren“, erklärt Vermögensprofi Kolb. Eine mögliche Alternative können ETFs sein, die in globale oder US-Staatsanleihen investieren und das Währungsrisiko absichern, was als „Euro hedged“ bezeichnet wird. Auch sogenannte Floater mit variablem Zins könnten eine Option sein, bei denen der Zins alle drei bis sechs Monate angepasst wird. Im Normalfall verbuchen diese Anleihen nach der Zinsanpassung keine Verluste.

Zehn schwergewichtige globale Renten-ETFs

Globale Renten-ETFs (Indexfonds)WKNGrößeRendite 1 JahrKosten p.a.
iShares Global Government Bonds A0RGEM956 Mill. €-3,56 %0,20 %
Xtrackers Global Gov. Bonds EUR hedgedDBX0A8907 Mill. €-10,88 % 0,25 %
UBS Sustainable Development Bonds A2JQW7 721 Mill. €8,93 %0,18 %
UBS Sustainable Dev. Bonds EUR hedgedA2JQXC584 Mill. €-7,42 %0,23 %
Amundi Global Gov. BondsA2ATYP369 Mill. €-4,44 %0,20 %
Amundi Global Gov. Bonds EUR hedged A2H56U 358 Mill. € -9,86 % 0,22 %
Xtrackers Global Gov. Bonds DBXONM282 Mill. €  -4,99 %0,20 %
Global Gov. Bonds EUR hedgedA2PRG2262 Mill. € -9,79 % 0,25 %
iShares USD Dev. Bank Bonds EUR hedged A2QA0V206 Mill.  7,51 % 0,18 %
iShares USD Development Bank Bonds A2PSPZ183 Mill. € 8,82 %0,15 %
Quelle: justetf.com / Recherche: Jürgen Lutz / Stand: 8. Juli 2022

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