Trau, schau, wem: Wie Anleger mit Charts in die Irre gehen können

Trau, schau, wem: Wie Anleger mit Charts in die Irre gehen können


Anleger schauen bei ihren Investments oft auf Grafiken, um zu sehen, wie sich etwa eine bestimmte Aktie entwickelt hat. Dabei wissen nur die wenigsten: Wie diese Charts konstruiert sind, hat großen Einfluss auf ihre Psychologie und damit auf ihre Entscheidungen – etwa ob und wann sie eine Aktie oder einen Index kaufen oder verkaufen. Kluge Anleger sind gut beraten, die Unterschiede zu kennen und sich nur mit dem Besten zu begnügen.

Inhalt:

Die beiden Zauberworte bei der grafischen Darstellung von Aktienkursen heißen „linear“ und „logarithmisch“. Wer jetzt an höhere Mathematik denkt, liegt nicht völlig daneben. Aber man muss zum Glück nicht Einstein sein, um die jeweiligen Prinzipien zu verstehen. Der Punkt ist: „Die lineare Darstellung ist zwar nicht falsch, verzerrt die Realität aber und verführt Privatanleger dazu, bei ihren Investments sehr emotionale Entscheidungen zu treffen“, sagt David Bienbeck von der unabhängigen Vermögensverwaltung Albrech & Cie. in Köln. Nach seinen Worten ist die lineare Darstellung „leider weit verbreitet“.

Manche Charts zeigen nur die halbe Wahrheit

Das Bauprinzip des linearen Charts ist einfach: Gleich große Kurszuwächse in Euro-Beträgen nehmen den gleich großen Raum ein. Der Raum zwischen 100 und 200 Euro ist im Chart also genau so groß wie jener zwischen 200 und 300 Euro. Was erst einmal logisch klingt, hat jedoch unerwünschte Folgen. So wird der Anstieg einer Aktie von 10 auf 100 Euro (90 Euro und ein Plus von 900 Prozent) im linearen Chart in einem viel kleineren Raum dargestellt als der Anstieg von 100 auf 1.000 Euro (900 Euro und ebenfalls ein Plus von 900 Prozent).

Trotz des prozentual gleich hohen Gewinns präsentiert der lineare Chart den 900-Euro-Anstieg also als zehn Mal so groß wie den 90-Euro-Zuwachs. „Daher sehen lineare Charts bei stark gestiegenen Aktien aus wie Raketen, die in den Himmel geschossen wurden und gar nicht anders können, als bald in Richtung Erde zu fallen“, sagt Burkhard Wagner von Partners Vermögensmanagement in München. Ein Beispiel ist der lineare Chart von Novo Nordisk, dessen Aktienkurs sich seit 2011 verzwölffacht hat (Quelle: finance.yahoo.com).

Linearer Chart der Aktie Novo Nordisk
Quelle: finance.yahoo.com

Mit linearen Charts verpassen Anleger oft das Beste

Wer auf lineare Charts vertraut, steht deshalb – meist ohne zu wissen, warum – schnell vor Problemen: „Erstens sehen starke Aktien in dieser Darstellung so aus, als wäre ihr Kurs zu sehr gestiegen, weshalb Anleger einen Bogen um Papiere machen, die fundamental und mit logarithmischer Darstellung durchaus attraktiv wären“, erklärt Vermögensverwalter Bienbeck. Zweitens tendierten Anleger, die solche Papiere im Depot haben, aus eben diesem Grund auch dazu, sie zu früh zu verkaufen. Und drittens trauen sich viele nach einer größeren Korrektur nach seinen Worten nicht zu kaufen, weil der vorherige Absturz unverhältnismäßig stark dargestellt wird.

Logarithmische Charts fokussieren auf prozentuale Gewinne

Diese gravierenden Nachteile lassen sich mit logarithmischen Charts vermeiden. Deren Prinzip lautet: „Prozentual gleiche Abstände nehmen den gleichen Raum ein; der absolute Euro-Betrag spielt dabei keine Rolle“, sagt der unabhängige Vermögensverwalter Wagner. Damit fällt der Raum zwischen 100 und 1.000 Euro ebenso groß aus wie der Raum zwischen 10 und 100 Euro. Der Effekt: „Der logarithmische Chart zeigt zwar immer noch eine sehr starke Wertentwicklung. Jedoch wirkt der Anstieg weitaus gemäßigter als in der linearen Darstellung und die Aktie erscheint nicht so überkauft“, erklärt Wagner.

Darüber hinaus spiegelt der logarithmische Chart exakt die prozentualen Gewinne eines Anlegers wider: Hält er ein Papier auf dem Weg von 25 nach 50 Euro, so hat er dieses Kapital ebenso verdoppelt wie ein Käufer, der das Papier später bei 50 Euro erwirbt und bei 100 Euro veräußert. Der folgende logarithmische Chart zeigt ebenfalls die Aktie von Novo Nordisk seit dem Jahr 2011 – „der Unterschied zum linearen Chart springt förmlich ins Auge“, wie Wagner meint (Quelle: finance.yahoo.com).

Logarithmischer Chart der Aktie Novo Nordisk
Quelle: finance.yahoo.com

Aus diesen Überlegungen ergeben sich für die beiden Vermögensverwalter klare Konsequenzen für Anleger. Wer sein Vermögen am Aktienmarkt trotz der wahrscheinlich hohen Schwankungen über den Zinseszins-Effekt mehren will, müsse langfristig am Ball bleiben. Dazu seien die logarithmischen Charts eindeutig besser geeignet als die linearen Modelle: „Wer sich an logarithmischen Charts orientiert, schafft es psychologisch eher, trotz eventuell hoher Schwankungen in einem langfristigen Aufwärtstrend am Ball zu bleiben oder auch zu bereits höheren Kursen kaufen, wenn die fundamentalen Aussichten für das Unternehmen vielversprechend sind“, so David Bienbeck.

Auch Burkhard Wagner empfiehlt Anlegern, lineare Charts zu meiden. „Wenn ein Bankberater oder ein anderer Finanzexperte ein Finanzprodukt präsentiert, sollten sie fragen, ob es sich um einen logarithmischen oder einen linearen Chart handelt. Wer keine befriedigende Antwort erhält, sollte ernsthaft überlegen, sich einen anderen Berater zu suchen.“ Anleger, die sich selbst schlau machen wollen, finden im Internet kostenlos Charts mit logarithmischer Darstellung.

Video-Interview: Woran erkennt man eine gute Aktie?

Das Aktien-Universum ist riesig. Rund um den Globus gibt es in den unterschiedlichsten Sektoren zehntausende Wertpapiere. Doch woran erkennt man denn nun eine wirklich GUTE Aktie? Fragen dazu von Börsenmoderator Andreas Franik an Vermögensverwalter Wolfgang Juds, Geschäftsführer bei der CREDO Vermögensmanagement GmbH, im Interview

Service: Mit diesen Gratis-Tools kommen Anleger an „die richtigen Charts“

de.finance.yahoo.com: Die Gratis-Software de.finance.yahoo.com bietet Anlegern die Möglichkeit, eine Liste von Wertpapieren anzulegen und dabei das Aussehen der Charts zu bestimmen. Dazu den Namen eines Index oder eines Wertpapiers angeben, auf „Diagramm“ klicken (am besten „Vollbild“ wählen) und auf „Einstellungen“ gehen. Hier die Skala der Y-Achse als „logarithmisch“ definieren und als Lesezeichen speichern – so bleibt genau diese Einstellung erhalten. 

onvista.de: Auch bei onvista.de können Anleger auf einfache Weise das Aussehen der Charts bestimmen. Dazu in der Suche den Namen eines Index oder eines Wertpapiers angeben, dann auf „Chart“ klicken. Danach müssen Anleger auf „Interaktiver Chart“ klicken und rechts unten von der Einstellung „auto“ auf „log“ umschalten.

stockcharts.com: Wer sich (vor allem) für amerikanische Indizes und Aktien interessiert und etwas mehr Wissen mitbringt, wird bei stockcharts.com gut versorgt. Unter der Kopfzeile „Sharp Charts“ den Index- oder Wertpapier-Namen eingeben. Dann wird umgehend der logarithmische Tages-Chart der letzten 12 Monate angezeigt. Wer einen längerfristigen Blick benötigt, kann die „Period“ von „Daily“ auf „Weekly“ umstellen und kostenlos den logarithmischen Wochen-Chart der vergangenen fünf Jahre einsehen.

Zwei Gesichter eines Index: 36 Jahre DAX – linear und logarithmisch

Linearer Chart DAX
Quelle: finance.yahoo.com

Wie sehr sich die linearen und logarithmischen Darstellungen vor allem auf lange Frist unterscheiden, können Anleger anhand der nun über 35-jährigen Geschichte des Deutschen Aktienindex (DAX, Charts: finance.yahoo.com) sehr gut erkennen. Bei der linearen Darstellung (oben) erscheint die Kursbewegung in den Jahren 1988 bis 1997 kaum wahrnehmbar. Selbst die Verdreifachung von 2.500 auf 8.000 Punkte wirkt nur wie ein Vorspiel für die angebliche Kursexplosion von 2013 bis 2024 – obwohl die Zeit von 1997 bis 2000 einem Zuwachs von 220 Prozent entspricht. Im Vergleich dazu stellt der Anstieg von 8.000 auf 18.400 Zähler mit 130 Prozent prozentual einen deutlich kleineren Zuwachs dar, erscheint er in der grafischen Darstellung aber als bedeutender. Unbedarfte Betrachter werden so auf eine falsche Fährte gelockt. Beim logarithmischen Chart (unten) entsteht dieser Eindruck nicht: Hier wird klar, dass der prozentuale Zugewinn beim DAX seit 2013 weniger dramatisch ausfällt als in der Internet-Blase von 1997 bis 2000.

Logarithmische Chart DAX
Quelle: finance.yahoo.com

Im V-CHECK Podcast: Vermögensverwalterin Petra Ahrens erklärt, woran man eine gute Aktie erkennt

Laut dem Deutschen Aktieninstitut haben im vergangenen Jahre 12,3 Millionen Bundesbürger in Aktien, Aktienfonds und ETFs investiert. Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl der Aktieninvestoren aber um mehr als 570.000 gesunken. Wir tun uns also immer noch schwer mit dem Thema Aktien. Warum ist das so und woran erkennt ein Anleger eigentlich eine gute Aktie? Antworten darauf gibt Petra Ahrens, Vorständin der MAIESTAS Vermögensmanagement in Köln

Interview: So fühlen Anleger ihrem Finanzberater auf den Zahn

David Bienbeck
David Bienbeck ist Portfoliomanager bei der Albrech & Cie. Vermögensverwaltung in Köln

Herr Bienbeck, viele Anleger erhalten von ihren Bankberatern oft ungefragt Empfehlungen, welche Fonds oder andere Finanzprodukte sie kaufen können. Ist es sinnvoll, diesen Vorschlägen zu folgen?

David Bienbeck: Das kommt sehr drauf an. In der Regel kennen Bankberater bei größeren Depots die Vorgaben und finanziellen Ziele ihrer Kunden und orientieren sich daran. Dem steht entgegen, dass Banken immer wieder Verkaufs-Offensiven starten, um Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen, ohne sehr konkret auf ihre Kunden einzugehen.

Warum ist das so?

Bienbeck: Verantwortlich für diese Offensiven sind die Provisionen, die sich damit verdienen lassen.

Banken, Finanzberater und sogenannte Vermögensberater verkaufen oft ausschließlich (haus)eigene Produkte, die Provisionen und weitere Kosten enthalten. Daher wählen sie Produkte nicht in erster Linie deshalb aus, weil diese für die Ziele der Kunden am besten geeignet und günstig sind, sondern weil sie ein großes Interesse an deren Vertrieb haben.

Das bedeutet also, in solchen Gesprächen besser eine gewisse Vorsicht walten zu lassen?

Bienbeck: Absolut! Wenn ein Berater einen Fonds empfiehlt, sollten Anleger ihn fragen, wie dieses Produkt nach seiner Ansicht ins Wertpapierdepot passt und welche Chancen und Risiken es bietet. Falls sie etwas nicht verstehen, sollten sie so lange nachhaken, bis Klarheit herrscht. Zudem sollte man sich über die gesamten Kosten informieren und nachfragen, ob man das avisierte Ziel nicht mit günstigeren Mittel erreichen kann.

Das klingt nach viel Arbeit. Was sollte man sonst noch beachten?

Bienbeck: Falls der Berater einen längerfristigen Kurs-Chart für das Produkt präsentiert, sollte man sich erkundigen, ob es sich um lineare oder logarithmische Charts handelt. Lineare Charts werden leider gern verwendet, obwohl sie leicht zu falschen Schlüssen führen können, die Anleger Geld kosten. Bei logarithmischen Charts besteht diese Gefahr nicht. Wer so vorgeht, gewinnt neben der Klarheit über den Kursverlauf auch direkt einen Eindruck von der fachlichen Kompetenz des Beraters.

Was sollten Anleger tun, die auf diese Frage keine befriedigende Antwort erhalten?

Bienbeck: Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, den Berater zu wechseln oder sich gleich an einen kompetenten Anbieter zu wenden. Dazu zählen unabhängige Vermögensverwalter, die für das Management des Vermögens von den Kunden ein Honorar erhalten statt Provisionen zu kassieren. Dadurch können sie voll im Interesse ihrer Mandanten handeln.

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