
Sell in May – oder besser doch nicht?
Inhalt:
- Sell in May – oder besser doch nicht?
- Grafik: Durchschnittliche DAX-Performance auf Monatsbasis
- Interview mit Vermögensverwalter Werner Krieger: „Richtig umgesetzt, bringen regelbasierte Ansätze einen Mehrwert“
- Servicekasten: Die fünf wichtigsten Börsenregeln, die Anleger kennen sollten
In der Regel steckt in allen Börsenweisheiten ein wahrer Kern. Das gilt auch für „Sell in May and go away“, wie Burkhard Wagner von der Partners Vermögensmanagement AG in München festgestellt hat: „Seit 1990 betragen die jährlichen Zuwächse beim MSCI World Index von Mai bis Oktober im Durchschnitt lediglich zwei Prozent pro Jahr, von November bis April aber sieben Prozent“, erläutert er.
Grund genug, der Sell-in-May-Regel auch in diesem Jahr zu folgen? Eine Frage, die nicht ganz leicht zu beantworten ist. Denn es gibt gute Gründe für weitere Kursanstieg, aber auch ein nochmaliger Einbruch ist laut Werner Krieger von der GFA Vermögensverwaltung in Herbolzheim nicht auszuschließen. „Grundsätzlich ist es so, dass in den Sommermonaten oft ein geringerer Handel am Markt festzustellen ist, und deshalb können negative Nachrichten zu erneuten Verlusten führen“, erklärt er.
Ein Risiko sieht er darin, dass die Märkte derzeit davon ausgehen, dass die Notenbanken die Zinsen im Sommer senken. „Da die Inflation aber nicht so schnell auf die Ziel-Marke von zwei Prozent sinken wird, sollten wir eher, auch wenn die Leitzinserhöhungen enden, mit anhaltend hohen Zinsen rechnen.“ Das könnte am Aktienmarkt zu Enttäuschungen und sinkenden Kursen führen.
Zudem sei eine eher milde Rezession eingepreist. Nach Ansicht von Krieger ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass der Wirtschaftseinbruch stärker ausfällt als erwartet. „Erst, wenn alle diese negativen Faktoren in den Kursen eingepreist sind, könnte es wieder längerfristig nach oben gehen“, meint er. Bis dahin aber könne es schwierig werden. Auch Wagner sieht einige Unwägbarkeiten. „Ganz aktuell ist das die Schuldenobergrenze in den USA und da sich auch die Inflation als hartnäckig erweist, ist es nicht ganz abwegig, Risiken aus dem Portfolio zu nehmen“, sagt er.

Allerdings mit dem Risiko, Kursgewinne zu verpassen. So gibt es einen wichtigen Punkt, der weitere Kursanstiege über den Sommer hinweg auslösen könnte. „Aktuell haben die Wetten der Investoren auf fallende Kurse ein Volumen im Billionen-Bereich erreicht und das ist extrem hoch“, sagt Wagner. Diese Shortseller leihen sich dabei Aktien, um diese am Markt zum aktuellen Kurs zu verkaufen. Kaufen sie die geliehenen Aktien später zurück, dann – so die Idee – bekommen sie diese am Markt zu einem günstigeren Kurs.
Der Haken daran: Steigen die Kurse zwischenzeitlich statt zu fallen, kann diese Strategie sehr teuer werden. „Wer eine Aktie kauft und hält, kann 100 Prozent verlieren, bei Shortsellern ist der potenzielle Verlust quasi unbegrenzt“, so Wagner. Läuft der Markt also gegen die Leerverkäufer, dann werden sie sich ab einem bestimmten Punkt mit Aktien eindecken müssen. Und so die Kurse noch weiter nach oben treiben.
Jetzt alles zu verkaufen, beinhaltet deshalb ein erhebliches Risiko. „Ich kann zwar verstehen, dass jemand aufgrund der zahlreichen Unsicherheiten riskantere Investments aus seinem Portfolio nimmt“, folgert Wagner. „Aber das Kerninvestment sollte unbedingt bestehen bleiben, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Kurse in den Sommermonaten doch steigen und man dann den Wiedereinstieg nicht mehr schafft.“
Ähnlich sieht das Krieger. „Wenn wir sehen, dass die Märkte runter gehen, dann sind wir bereit, die Aktienquote zu reduzieren“, erklärt er. Sich ganz aus dem Markt zu verabschieden, davon rät er aber ab. Das gilt auch deshalb, weil die eingangs genannten Zahlen zur Wertentwicklung des MSCI World Index nur Durchschnittsangaben sind. „Insgesamt zeigt sich, dass zum Beispiel der Juli regelmäßig recht gute Ergebnisse lieferte und in manchen Jahren waren die Zuwächse in den Sommermonaten dann doch recht gut“, so Kriegers Fazit.
Interview mit Werner Krieger: „Richtig umgesetzt, bringen regelbasierte Ansätze einen Mehrwert“

Herr Krieger, worin liegt der Charme eines regelbasierten Investmentansatzes?
Werner Krieger: Ein Vorteil ist, dass so Emotionen, die Anleger oft zu Fehlern verleiten, ausgeschaltet werden. Bei regelbasierten Ansätzen muss man aber genau hinsehen. Ich würde zum Beispiel nicht empfehlen, der Regel „Sell in May“ folgend im Mai ganz aus dem Markt auszusteigen. Stattdessen sollten sich Anleger am jeweiligen Marktumfeld orientieren und nicht am Kalendermonat. Was nach meiner Erfahrung besser funktioniert, ist die Orientierung an den US-Wahlen.
Was steckt dahinter?
Krieger: Rückt die Wahl näher, dann verteilen die amtierenden US-Präsidenten gerne Wahlgeschenke, um ihre Wiederwahl zu sichern und das kommt meist auch den Börsen zugute. Ist die Wahl vorbei, dann kommen die notwendigen, aber eher schmerzhaften Reformen, die dann ein Belastungsfaktor sind. Das funktionierte in der Vergangenheit zwar ganz gut. Gedankenlos folgen sollte man dem aber auch nicht.
Welche regelbasierten Strategien verwenden Sie bei der Geldanlage?
Krieger: Am besten funktionieren nach unserer Erfahrung die Ansätze, die sich an klassischen Faktoren wie Momentum oder Value orientieren und die dem Markt mittel- bis langfristig überlegen sind. Bei unserem Momentum-Ansatz nutzen wie übergeordnete Signale wie die relative Stärke in einzelnen Bereiche, also zum Beispiel im Technologiesektor oder am US-Aktienmarkt.
Können Sie uns das an einem Beispiel erläutern?
Krieger: Nach dem pandemiebedingten Börseneinbruch hatten wir im April 2020 ein Einstiegsignal für Technologieaktien und insbesondere für solche, die von den Folgen der Pandemie profitieren. Da konnten wir also investieren. Für die Unternehmen der Old Economy kam das Signal erst im Herbst.
Es gibt aber auch Phasen, in denen Momentum nicht funktioniert…
Krieger: Ja, die gibt es. Deshalb mischen wir die Momentum-Strategie zum Beispiel mit dem Value- oder dem Dividendenansatz. Dort gehen wir antizyklisch vor. Das heißt, wir investieren dann, wenn der Marktpreis im Vergleich zum inneren Wert niedrig ist. Entscheidend ist, dass Value und Momentum eine geringe Korrelation zueinander aufweisen. Durch diese Diversifikation lassen sich Durststrecken bei den einzelnen Ansätzen besser überstehen. Tatsächlich kam es so gut wie nie vor, dass alle die von uns genutzten Strategien gleichzeitig schlecht liefen.
Wie sieht es mit dem Rebalancing aus?
Krieger: Auch das Rebalancing, also die regelmäßige Wiederherstellung der Ursprungsallokation, ist ein wichtiges regelbasiertes Instrument. Dabei wird die Strategie abgebaut, die gut gelaufen ist, und antizyklisch in die schlecht gelaufene investiert. Das machen wir einmal im Jahr.
Servicekasten: Die fünf wichtigsten Börsenregeln, die Anleger kennen sollten
„Nicht alle Eier in einen Korb liegen“
Es ist der wichtigste Grundsatz bei der Geldanlage: Anleger sollten breit streuen und nicht alles auf nur eine oder zwei Aktien setzen. Sie können damit ihr Risiko nachweislich senken – und das in der Regel ohne größere Einbußen bei der Rendite. Diese Erkenntnis geht auf den Begründer der modernen Portfoliotheorie und Nobelpreisträger Harry M. Markowitz zurück, der dies in den 1950er Jahren in seinen Forschungsarbeiten nachwies.
„Hin und her macht Taschen leer“
Heißen Tipps hinterher zu laufen und häufig an der Börse zu handeln, mag zwar reizvoll sein. Was aber häufig unterschätzt wird, sind die dabei entstehenden Kosten. Und die gehen zu Lasten der Rendite. Statt immer wieder in andere Vermögenswerte zu investieren, sollten Anleger deshalb langfristig in Kernanlagen wie breit gestreute Aktienindizes, investieren.
„Sei ängstlich, wenn andere gierig sind, und sei gierig, wenn andere ängstlich sind“
Dieses Zitat von Star-Investor Warren Buffett mahnt zur Vorsicht in der Euphorie und rät dazu, einzusteigen, wenn alle den Markt verlassen und das Umfeld schlecht ist. „Ein solches antizyklisches Verhalten kostet zwar viel Überwindung“, sagt Burkhard Wagner von der Partners Vermögensmanagement AG, „denn es bedeutet, dann zu kaufen, wenn alles nach Weltuntergang aussieht, und umgekehrt die Party zu verlassen, wenn die Stimmung am überkochen ist. Aber in der Vergangenheit hat das gut funktioniert.“ Einen Anhaltspunkt, wo sich der Markt befindet, liefert der Fear and Greed Index von CNN. Er geht von Null (Angst) bis 100 Punkte (extreme Gier). Aktuell steht der Index bei 66 Punkten. Er ist damit im Gier-Bereich.
„Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen“
Anleger tendieren oftmals dazu, Gewinne zu schnell mitzunehmen. Doch gerade Aktien, die sich in einem Aufwärtstrend befinden, können sich sehr lange nach oben entwickeln – ganz nach dem Motto „the trend is your friend“. Da es ein Eingeständnis ist, dass man falsch lag, zögert man umgekehrt oft zu lange, Verlustbringer zu verkaufen. Meist hofft man, dass es doch noch zu einer Trendwende kommt. Weiten sich die Verluste aber aus, ist es besser, die Position zu verkaufen.
„Never catch a falling knive“
Immer wieder erleiden einzelne Aktien heftige Kursverluste. Der Reiz ist dann groß, bei solchen Titeln zuzugreifen, da es diese zu einem vermeintlich günstigen Preis gibt und man hofft, dass die Aktie die alten Höhen wieder erklimmt. Doch gibt es dafür keine Garantie. Oft setzt sich der Abwärtstrend fort. Es ist deshalb besser abzuwarten, da ein zu frühes Einsteigen, der Griff ins fallende Messer, zu erheblichen Verlusten führen kann.
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