
DAX bald bei 20.000 Punkten?
Inflation und Notenbanken: Auch wenn die Inflation wahrscheinlich nicht endgültig besiegt ist, dürften doch die hohen, zweistelligen Preissteigerungen überwunden sein. Ist ein solches Umfeld einer leichten Inflationierung und der andauernden Hoffnung auf Zinssenkungen durch die Notenbanken für Aktien als Sachwert nicht tendenziell eher gut?
Sven Langenhan: Ihre Annahme stimmt, dieses Umfeld ist für Sachwerte wie Aktien attraktiv. Unternehmen profitieren von tendenziell sinkenden Zinsen, da sie Investitionen in Wachstumsmärkte oder neue innovative Produkte besser, sprich günstiger finanzieren können. Gleichzeitig entlastet eine nachlassende Inflation den Kostendruck. Beide Aspekte helfen Unternehmen bei der Marge und somit beim Gewinn.
Zudem ermöglichen insgesamt niedrigere Langfristzinsen höhere Aktienbewertungen, weil zukünftige Gewinne und Zahlungsströme dann mit einem niedrigeren Zins diskontiert werden; sprich: heute mehr wert sind. Andererseits muss man aber auch festhalten, dass hohe Inflationsraten für solide Unternehmen mit gesunden Geschäftsmodellen, also vor allem solche mit der sogenannten Preissetzungsmacht, ebenfalls nicht schlecht sind. Hier darf man nicht vergessen, dass Inflation dadurch entsteht, dass Unternehmen höhere Preise festsetzen. Das werden sie nur so lange tun, wie der positive Preiseffekt etwaige negative Volumenseffekte übersteigt.
Chinesische Aktien sind derzeit in einer Erholung. Könnte dies nicht ein Signal dafür sein, dass sich China nach zwei Jahren Enttäuschung wieder stabilisiert – was für viele Dax-Unternehmen ein großer Vorteil wäre?
Langenhan: Sie haben Recht: Sollte sich Chinas Wirtschaft fangen und wieder gute Wachstumsraten erzeugen, wäre dies tendenziell gut für deutsche Unternehmen, nicht nur aus dem DAX. Aber ob sich China tatsächlich stabilisiert, lässt sich seriös nicht einschätzen. Viele offizielle Statistiken, die so etwas vielleicht suggerieren, sind mit großer Vorsicht zu genießen. Chinas Probleme sind weiterhin enorm, allen voran der kritische Zustand im Immobiliensektor. Die Regierung tut sich sehr schwer, das Wachstumsversprechen, das sie ihrer Bevölkerung gegeben hat, einzulösen. Insofern raten wir, nicht zu viel in kurzfristige Erholungstendenzen an der chinesischen Börse hineinzuinterpretieren.
Immer wieder gibt es Ängste vor einer neuen Finanzkrise. Doch ist die weltweite Stärke der Bankaktien nicht ein Zeichen dafür, dass diese Ängste unbegründet sind?
Langenhan: Eine konkrete Angst vor einer Neuauflage der Finanzkrise aus dem Jahr 2008 erscheint uns derzeit unangebracht. Dies kann man allerdings weniger an der weltweiten Stärke der Bankaktien, als vielmehr der Lehren aus der Finanzkrise und daraus resultierenden strukturellen Veränderungen im Finanzsektor festmachen. Dabei sollte allerdings die Krise der US-Regionalbanken aus dem letzten Frühjahr nicht außer Acht gelassen werden. Der Bankensektor, und zwar nicht nur in den USA, ist nach wie vor mit Risiken konfrontiert. Dies liegt zum einen an dem hohen Zinsniveau in Verbindung mit für Banken ungünstigen inversen Zinsstrukturkurven, zum anderen an teilweise schlecht ausbalancierten Anlage- und Kreditbüchern, die noch aus der Null- und Negativzinswelt resultieren. Die Zentralbanken dürften das allerdings auf dem Radar haben und analog der FED im letzten Jahr schnell kreative Lösungen finden, um einen möglichen Flächenbrand direkt im Keim zu ersticken.
Zahlreiche zentrale Dax-Werte verlaufen in langjährigen Aufwärtsbewegungen seit der Finanzkrise: SAP, Allianz, Siemens, Fraport, Münchener Rück. Zeigt das nicht, dass diese Unternehmen auf ihren Märkten führend sind und damit auch weiterhin als Anlage infrage kommen?
Langenhan: In der Tat sind die von Ihnen genannten Unternehmen in ihren Branchen führend. SAP zum Beispiel ist ja quasi der Erfinder von ERP, also Software zur Unternehmenssteuerung, und in diesem Bereich weltweit die Nummer 1. Eine gute Aktienperformance deutet aber nicht zwingend darauf hin, dass ein Unternehmen Weltmarktführer ist. Gesellschaften aus der zweiten oder dritten Reihe, die mit guten innovativen Produkten punkten und Marktanteile gewinnen, sind an der Börse meist ebenfalls erfolgreich.
Zudem ist eine gute Aktienkursentwicklung in der Vergangenheit kein Garant dafür, dass diese auch in der Zukunft so fortgeschrieben wird. Weltmarktführer hin, Weltmarktführer her, auch die großen Konzerne stehen unter enormem Wettbewerbsdruck. Erfolge in der Vergangenheit haben daher nur einen begrenzten Wert.
Daher sollte bei jeder Aktienanlage eine Ist-Betrachtung durchgeführt werden, Anleger sollten sich also fragen: Bewegt sich ein Unternehmen in einem strukturell wachsenden Markt? Gehört es in diesem Markt dank seiner Produkte und seiner Technologie zu den führenden Unternehmen? Überzeugen Management, Strategie und Wachstumsaussichten und ist die Bilanz in Ordnung? Wenn man diese Fragen mit Ja beantworten kann, stehen die Chancen gut, dass sich das Unternehmen gut entwickelt und der Aktienkurs steigt.
Zahlreiche Dax-Aktien wie BASF, Mercedes-Benz, BMW, VW stecken in einem schwierigen Umfeld, die Bewertungen allerdings sind oft günstig, die Dividendenrenditen hoch. Welche Chancen ergeben sich hier für Anleger? Und was wird aus den Dax-Aktien, die wie Bayer und VW seit längerem unter Druck stehen und günstig geworden sind – besteht hier nicht Nachholbedarf?
Langenhan: Bei einzelnen Unternehmen muss jeder Fall gesondert analysiert werden. Der Absturz von Bayer hat natürlich seine Gründe. Jetzt versucht ein neuer CEO das Ruder herumzureißen. Ob ihm dies gelingen wird und wenn ja, wie schnell, ist aktuell nicht absehbar. Daher wäre es falsch, hier von Nachholbedarf zu sprechen. Es ist ja auch denkbar, dass sich die Situation noch verschlimmert.

Könnte letztlich dieser Mix nicht dazu führen, dass der Dax mittelfristig auf 20.000 Punkte steigt – und womöglich auch darüber hinaus.
Langenhan: Der DAX wird irgendwann auf 20.000 Punkte steigen. Dies liegt in der Natur der Sache. Das Ziel eines jeden Unternehmens ist es, Jahr für Jahr noch besser zu werden und Umsatz und Gewinn zu steigern. Viele der im DAX enthaltenen Unternehmen werden in den nächsten Jahren neue Technologien und Produkte entwickeln, in neue Märkte vordringen oder Künstliche Intelligenz nutzen, um noch effektiver zu werden. Dies alles sollte sich unter dem Strich positiv auf die Aktienkurse auswirken und somit auch für den DAX. Zudem handelt es sich um einen sogenannten Performanceindex, bei dem ausgeschüttete Dividenden reinvestiert werden. Wann genau der DAX die Marke von 20.000 Punkten erreichen wird, lässt sich allerdings nicht sagen. Dies kann dieses Jahr noch der Fall sein, nächstes Jahr oder – falls es zu unvorhersehbaren Verwerfungen kommt, wie es bei der Coronapandemie der Fall war – vielleicht auch erst in fünf Jahren oder noch später. Eine seriöse Prognose ist hier nicht möglich.
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