Die wichtigsten Fragen zur Zinswende

Die wichtigsten Fragen zur Zinswende


Selten haben die Notenbanken die Zinsen so aggressiv erhöht wie zuletzt. Das hat massiven Einfluss auf die Wirtschaft und die Kapitalmärkte. Hier die sieben wichtigsten Fragen und Antworten.

Inhalt:

„Der Zins ist der elementarste Einflussfaktor für die Realwirtschaft und die Finanzmärkte“, stellt Stefan Eberhardt von der e/r/w Vermögensmanagement GmbH in Villingen-Schwenningen fest. Angesichts der fast beispiellos rasanten Leitzinserhöhung von null auf 3,5 Prozent seit Juli 2022 durch die Europäische Zentralbank (EZB) stellt sich die Frage nach dem Grund für die Zinserhöhung und deren Konsequenzen?

1. Warum hat die EZB den Leitzins so stark erhöht?

Lag die Inflationsrate in der Eurozone in 2021 noch bei durchschnittlich 2,6 Prozent, so sprang sie im März vergangenen Jahres auf 7,4 Prozent, im Oktober erreichte sie in der Spitze 10,6 Prozent. „Da es die wichtigste Aufgabe der EZB ist, für Geldwertstabilität zu sorgen, muss sie diesen Anstieg der Teuerungsrate über höhere Zinsen bekämpfen“, erläutert Eberhardt.

2. Welchen Einfluss hat der Zins auf die Wirtschaft?

„Mit dem Zins lassen sich die Nachfrage und die Wirtschaftstätigkeit regulieren“, erklärt Claus Walter von der Freiburger Vermögensmanagement GmbH. So treiben niedrige Zinsen die Nachfrage und die Wirtschaft an. „Ein hoher Zins dagegen verteuert den Preis für Fremdkapital und belastet betriebliche und private Investitionen“, so der Experte. Höhere Zinsen bremsen also nicht nur die Inflation, sondern auch das Wirtschaftswachstum. Jedoch dauert es einige Monate, bis geldpolitische Maßnahmen auf die Realwirtschaft wirken.  

3. Lohnen sich damit Zinsprodukte wieder?

Aufgrund der Zinswende sind festverzinsliche Wertpapiere attraktiver geworden. Brachten zehnjährige Bundesanleihen Ende 2021 eine Rendite von -0,31 Prozent, so sind es derzeit 2,2 Prozent. „In der Tat sind Anleihen wieder attraktiv und hier insbesondere kurzlaufende deutsche Staatspapiere, die aktuell rund 2,5 Prozent bieten“, sagt Eberhardt. Das gilt jedoch nicht für Bankeinlagen. „Die Kreditinstitute geben die gestiegenen Zinsen noch nicht an ihre Kunden in Form höherer Zinsen für Tagesgeld oder das Sparbuch weiter“, sagt Claus Walter. „Und Sie dürfen nicht vergessen, dass die Inflation noch deutlich über der Verzinsung liegt, weshalb das so angelegte Geld trotzdem noch an Kaufkraft verliert.“

4. Sollte man Aktien künftig meiden?

Angetrieben von den niedrigen Zinsen seit der Finanzkrise haben sich Aktien gut entwickelt. Doch mit der Zinswende kam diese Anlageklasse unter Druck. Dafür gibt es zwei Gründe: „Zum einen gibt es nun mit den höheren Anleiherenditen Anlagealternative, zum anderen sind die Firmen mit höheren Finanzierungskosten konfrontiert“, so Walter. Langfristig sei dies aber kein Grund, Aktien zu meiden. „Sie müssen bedenken, dass die Bewertungen in manchen Fällen nach den extremen Kursverlusten so stark zurückgekommen sind, dass sich Einstiegschancen ergeben“, sagt Eberhardt. „Und wenn die Zinsen ihren Höhepunkt erreicht haben und dies in den Kursen eingepreist ist, geht es in der Regel für Aktien wieder aufwärts.“

5. Welche Folgen hat der gestiegene Zins für den Immobilienmarkt?

„Auf den Immobilienmarkt wirken sich höhere Zinsen negativ aus“, stellt Eberhardt fest. Allein seit Anfang vergangenen Jahres haben sich die Zinsen für ein zehnjähriges Baudarlehen fast vervierfacht. „Das führt zu einer sinkenden Nachfrage nach Immobilien und damit auch zu sinkenden Preisen“, so Walter. „Diese bremsende Wirkung sieht man übrigens schon an der rückläufigen Zahl der Baugenehmigungen und Baubeginne.“  

6. Was bedeutet der höhere Zins für Schuldner? 

Grundsätzlich steigt der Schuldendienst für Staaten, Unternehmen und private Haushalte gleichermaßen. „Das Risiko, dass es zu Zahlungsausfällen bei Staaten oder Unternehmen kommt, nimmt deshalb zu“, erklärt Claus Walter. „Allerdings erst dann, wenn man sich entweder neu verschuldet oder eine Anschlussfinanzierung ansteht.“ Das gilt auch für die privaten Haushalte, bei denen die Anschlussfinanzierung ansteht. Sie trifft der Zinsanstieg mit voller Wucht. „Wer von weiter steigenden Zinsen ausgeht, sollte sich das aktuelle Zinsniveau mit einem Forward-Darlehen sichern“, sagt Walter. Wer mit fallenden Zinsen rechnet, könnte sich für ein variabel verzinstes Darlehen entscheiden. Zwar hält der Experte eine variable Verzinsung für riskant. „Allerdings kann es eine interessant Variante sein, einen Teil der ausstehende Kreditsumme über ein Forward Darlehen absichern und für den anderen Teil eine variable Verzinsung zu wählen.“  

7. Welchen Einfluss haben Zinsen auf den Goldpreis?

„Gold bietet keine regelmäßigen Ertragsströme in Form von Zinsen oder Dividenden“, sagt Eberhardt. „Sichere Häfen wie Bundesanleihen oder US-Staatspapiere werden damit zur Konkurrenz für das Edelmetall.“ Deshalb dürfte auch Gold eher zu den Verlierern der Zinsanstiegs zählen. Viele Anleger halten Gold aber aus einem anderen Grund: „Eine Beimischung von fünf bis zehn Prozent im Portfolio, kann in schwierigen Marktphasen die Volatilität reduzieren“, so Walter. Das hat zuletzt gut funktioniert. Als die Aktienmärkte im März aufgrund der Sorgen um die Finanzstabilität einbrachen, kletterte der Goldpreis.

Interview: „Die Aussichten sind vielleicht gar nicht so schlecht“

Stefan Eberhardt ist Geschäftsführender Gesellschafter der e/r/w Vermögensmanagement GmbH
Seit Anfang 2022 haben die Notenbanken die Zinsen so aggressiv erhöht wie selten. Stefan Eberhardt von der e/r/w Vermögensmanagement GmbH erläutert, warum das nötig war und was nun folgt.

Herr Eberhardt, was war der Grund für starke Zinserhöhung?

Stefan Eberhardt: Es ist die wichtigste Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB), für Preisstabilität zu sorgen. Diese aber war durch den Anstieg der Inflation im vergangenen Jahr gefährdet und deshalb musste sie mit aggressiven Zinsschritten dagegen steuern. Denn höhere Zinsen wirken bremsend auf die Nachfrage der Verbraucher und der Unternehmen und das bremst, so die Theorie, die Wirtschaftstätigkeit und letztlich die Inflation ab.

Funktioniert dies auch in der Praxis?

Eberhardt: Aus der Vergangenheit wissen wir, dass höhere Zinsen inflationsdämpfend wirken. Es gibt nur einen Haken: Geldpolitische Maßnahmen wirken mit einer zeitlichen Verzögerung. Wann die höheren die Zinsen die Inflation wirklich auf das gewünschte Niveau drücken und welche Maßnahme wie wirkt, das lässt sich nicht exakt vorhersagen.  

Welche Risiken ergeben sich daraus?  

Eberhardt: Mit dem Zins bremst die Notenbank letztlich die Nachfrage der Konsumenten und der Unternehmen und die Wirtschaftstätigkeit. Es besteht deshalb immer die Gefahr, dass eine Notenbank zu wenig oder zu viel macht. Und beides ist schlecht für das langfristige Wirtschaftswachstum.

Hier ist von Soft und Hard Landing die Rede. Was versteht man darunter?

Eberhardt: Wenn die Zinserhöhungen so stark wirken, dass wir in eine Rezession rutschen, dann wäre das eine harte Landung. Bei einer weichen Landung würde die Inflation auf das angestrebte Niveau von rund zwei Prozent zurückgehen, während sich das Wirtschaftswachstum nur etwas verlangsamt.

Was ist zu erwarten?

Eberhardt: Es gibt eine Vielzahl an Einflussfaktoren, die auf die Inflation wirken. Wie es weitergeht, ist deshalb schwer prognostizierbar. Ich bin aber gar nicht so pessimistisch. So ist der Arbeitsmarkt trotz der gestiegenen Zinsen sehr stabil und wenn die Inflation noch weiter fällt, könnte sich sogar eine Entspannung bei der Zinsentwicklung abzeichnen. Das wäre dann ein sehr gutes Umfeld für die Kapitalmärkte in den kommenden Jahren.

Service: Der Auftrag der EZB und warum sie eine Inflationsrate von zwei Prozent anstrebt

Oberstes Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Nach Auffassung der Notenbank kann Preisstabilität am ehesten bei einer mittelfristigen Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent gewährleistet werden. Liegt die Inflation deutlich darüber, in 2022 zum Beispiel betrug sie im Euroraum 8,4 Prozent, dann verliert Geld sehr schnell an Wert und das wiederum wirkt sich negativ auf den Konsum und die Investitionen und damit auf die Wirtschaft aus.

Gleichzeitig gilt es Abweichungen nach unten zu verhindern. Eine Deflation, also fallende Preise, gelten ebenfalls als schädlich für die Wirtschaft. Der zunehmende Wert des Geldes belastet Schuldner, während sich fallende Preise negativ auf die Gewinne der Firmen auswirken. Das kann zu steigender Arbeitslosigkeit und sinkendem Konsum führen. Ein prominentes Beispiel für eine Deflation ist die Weltwirtschaftskrise in den 1920er Jahren. Damals wurde fast jeder vierte Amerikaner arbeitslos, während das weltweite BIP um mehr als ein Viertel einbrach.

Allerdings hat die EZB wie auch die amerikanische Notenbank Fed zuletzt ihr Inflationsziel angepasst. Sie strebt nun nicht mehr zwei Prozent in jedem Jahr an, sondern auf mittlere Sicht. Das bedeutet, dass die Inflationsrate im Durchschnitt über mehrere Jahre hinweg bei zwei Prozent liegen soll – die Währungshüter können moderate Abweichungen damit akzeptieren.

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