
Geopolitische Risiken im 2. Quartal 2023- Strategische Konsequenzen für Unternehmen und Investoren
Executive Summary
Die seit Monaten beobachtbaren geopolitischen Megatrends haben sich auch im 2. Quartal 2023 weiter manifestiert. Die Debatten wurden im Wesentlichen bestimmt von
- Folgen technologischer Disruption, insbesondere der Frage wie Künstliche intelligenz (konzentriert auf die Leistungsfähigkeit von ChatGPT) menschliches Leben verändert
- Den Debatten um die Folgen des Klimawandels (und hier insbesondere in geopolitischer Perspektive um Fragen der Migration und der Einigung auf ein europäisches Konzept)
- Den Folgen des Ukrainekrieges mit besonderer Aufmerksamkeit auf neue Zerstörungspotentiale (Sprengung des Kachowka Staudammes, Verminung des AKW Saporoschja, Verschmutzung des Schwarzen Meeres) und vor allem den Folgen der offenen Meuterei der Wagner Söldner und ihres Marsches auf Moskau am 24. Juni.
- Sowie dem Aufstieg Chinas und der unbeantworteten Frage, wie Europa und insbesondere Deutschland künftig mit China umgehen sollen. Mittlerweile liegt zwar eine Nationale Sicherheitsstrategie, aber immer noch keine Chinastrategie vor. Letztere soll Anfang Juli veröffentlicht werden, dürfte aber kaum Neues enthalten.
Wenn man diese primär auf Deutschland und Europa konzentrierte Perspektive erweitert, stellt man sehr schnell fest, dass auch jenseits der Grenzen Europas vielfältige Konfliktherde weiter bestehen und globale Sicherheit bedrohen.
Nach dem Epochenbruch: Geopolitik verändert Globalisierung
Schon 2022 markierte das Jahr, in dem die Geopolitik von der Peripherie ins Zentrum internationaler Wirtschaftsbeziehungen gerückt ist und mit dem die Zeiten, in denen Unternehmen ihre Internationalisierungsstrategien in einem geopolitisch freundlichen Marktumfeld verfolgen konnten, beendet sind. Die Phase der Globalisierung internationaler Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte wird durch eine Epoche abgelöst, in der politische Polarisierung und Systemwettbewerb, die Durchsetzung wirtschaftlicher und militärischer Sicherheitsinteressen jenseits eines kollektiv akzeptierten Handlungsrahmens wieder zum dominierenden Merkmal internationaler Beziehungen werden. Dies hat tiefgreifende Konsequenzen für die Weltwirtschaft, für Wachstum, Preisentwicklung, Geld- und Fiskalpolitik – und nicht zuletzt für die Erfolgsaussichten international operierender Unternehmen.
Die Trennung zwischen den bisher weitgehend voneinander parallel operierenden Welten von Geopolitik einerseits und wirtschaftliche Globalisierung andererseits hat sich in einer neuen Ära der Geoökonomie aufgelöst. Die Logik des System Wettbewerbs und militärische Sicherheitsinteressen dominieren zunehmend das Prinzip offener Wirtschaftsräume und marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Die USA und ihre Partner sind nicht länger die Garantiemächte einer globalen regelbasierten internationalen Wirtschaftsordnung, und sie befinden sich in einer Auseinandersetzung mit einem chinesischen Führungsanspruch, der mit dieser Ordnung inkompatible Vorstellungen verfolgt. Und schließlich ist die optimistische Perspektive der globalen Kooperation der letzten 30 Jahre dem pessimistischen Verständnis eines internationalen Nullsummenspiels gewichen.
In dieser neuen Epoche werden wirtschaftliche Interdependenzen nicht länger als systemstabilisierend, sondern als Bedrohung nationaler Interessen reinterpretiert. Sich ausweitende Sanktionsregime und die Kontrolle des Zugangs zu Technologie und Innovation werden prominenter Teil der westlichen Abschreckungsdoktrin – und mit zunehmender Wirtschaftsmacht auch der Gegenstrategie Pekings. Militärische Konflikte, wie infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine, werden durch Instrumente wirtschaftlicher Kriegsführung von höchster Intensität begleitet. Gerade weil die Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten so zusammengewachsen ist, lassen sich Wirtschaftskriege heute mit hohem Druckpotenzial führen – mit wachsenden Eskalationsrisiken.
Das Ergebnis dieses Prozesses wird eine neue geoökonomische Weltordnung sein, die ihr Gleichgewicht im Austarieren kollektiver Interessen, wie der Eindämmung des Klimawandels, im Schatten elementarer wechselseitiger Abhängigkeiten finden muss. Die Verfestigung dieser geoökonomischen Weltordnung wird umso nachhaltiger sein, weil die relevanten Akteure ihre Machtkonkurrenz unterhalb der Schwelle nicht-militärischer Mittel auszufechten suchen. Gleichzeitig wirkt der Epochenbruch der militärischen Aggression Russlands jedoch auch als massiver Impuls für beschleunigte militärische Aufrüstung insbesondere im Indopazifik, und sie führt zu einer Neubewertung militärischer Optionen als ultimativem Mittel der Durchsetzung sicherheitspolitischer Ziele. Inwieweit beide Aspekte stabilisierend oder destabilisierend wirken, hängt von der Entwicklung konkreter Konfliktlagen wie jene um den chinesischen Anspruch auf Taiwan ab. Gleichzeitig hat der Rückzug der Vereinigten Staaten von ihrer Rolle als „Weltpolizist“ im Mittleren Osten dazu geführt, dass Länder wie Saudi-Arabien und Israel eigenständige Sicherheitsstrategien gegen den Iran entwickeln, die im Falle Israels ein erhöhtes Risiko militärischer Eskalation mit sich bringen.
Zwischenbilanz: Der Anpassungsdruck für globale Konzerne steigt
Die unmittelbaren Konsequenzen dieser geopolitischen Transformation für die Weltwirtschaft sind fundamental. Das globale Wirtschaftswachstum wird nachhaltig belastet. Geopolitische Risiken für das Finanzsystem nehmen zu. Der Druck auf Zinsen und Inflation bleibt hoch. Die dynamische Entwicklung von Handels- und Investitionskontrollen verschärft strategische und operative Risiken nicht nur für unmittelbar betroffene Unternehmen, sondern auch für die sie finanzierenden Finanzinstitutionen. Der Zugang zu neuen Märkten, insbesondere zu denen des „Globalen Südens“, wird zunehmend durch geopolitische Interessen und Allianzen bestimmt.
Aus dem Wandel der globalen Wirtschaftsordnung entsteht ein neuer Referenzrahmen, in dem sich ein enormer Anpassungsdruck für international operierende Unternehmen aufbaut – denjenigen Akteuren also, die die Treiber der wirtschaftlichen Globalisierungsprozesse der letzten 30 Jahre waren. Ihre Internationalisierungsstrategien beruhten auf der Annahme, dass politische Spannungen eher kurzfristiges Störfeuer, in ihrer Gesamtheit aber kaum einen strukturbildenden Faktor ihres strategischen Unternehmensumfeld konstituieren würden. Heute entwickeln sich geopolitische Verwerfungen und neue geoökonomische Strukturen der Weltwirtschaft zu zentralen Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln. Es wird damit aus Unternehmenssicht eine zentrale Herausforderung werden, sich angesichts der neuen Epoche der Geoökonomie neu auszurichten, geopolitische Risiken neu zu bewerten, Wachstumsstrategien zu überdenken und unternehmerischen Erfolg in einer Lage zu sichern, in der Fragmentierung und Fragilität der globalen politischen Arena die Rahmenbedingungen internationaler Wirtschaftsbeziehungen dauerhaft bestimmen werden. Unternehmen stehen vor der Aufgabe, diese Anpassungsleistung grundsätzlich in drei Dimensionen zu erbringen:
Ausbau der Analysekapazitäten Geoökonomische Rahmenbedingungen:
Der Aus- bzw. Aufbau von Prozessen, die es einem Unternehmen erlauben, den sich im Wandel befindenden internationalen Umbruch in einer institutionalisierten strategischen Perspektive zu erfassen und deren Konsequenzen für die eigene Geschäftsentwicklung zu ermessen, wird zur Basis weitergehenden strategischen Handelns, zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und in einzelnen Fällen überlebenswichtig.
Strategieentwicklung
30 Jahre lang waren Unternehmensstrategien maßgeblich von der Suche nach Effizienzgewinnen getrieben. Nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie, der russischen Aggression gegen die Ukraine und unter dem Eindruck der wachsenden Spannungen des Westens mit China rückt nunmehr die Resilienz als Erfolgsbedingung der Unternehmensstrategie in den Vordergrund. Eine neue Ballance zwischen Effizienz und Resilienz zu finden wird eine zentrale Herausforderung für die Strategieentwicklung der nächsten Jahre werden.
Risikomanagement
Geopolitische Entwicklungen können in vielen unterschiedlichen Dimensionen Konsequenzen für die Geschäftsentwicklung haben und sich zu Risiken auswachsen. Die Integration der Variable „Geopolitik“ in den Risikosteuerungsprozess wird damit zu einer Herausforderung insbesondere für diejenigen Unternehmen, die ihre Internationalisierungsstrategien in der Vergangenheit in einem sehr viel stabileren geopolitischen Umfeld vorangetrieben haben.
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