Ein Jahr im „Krisenmodus“

Ein Jahr im „Krisenmodus“


Schauen wir zurück auf ein weiteres Krisenjahr, das sich dem Ende zuneigt. Von der Vielzahl der Krisen, die unsere Zeit prägen, haben wir wohl nur die COVID – Pandemie zumindest soweit hinter uns gelassen, dass sich Panikdebatten und Verschwörungstheorien weitgehend erledigt haben. Und das obwohl zum Jahresende die Infektionszahlen wieder deutlich steigen.

Die sprunghafte technologische Entwicklung ist auch in diesem Jahr ungebrochen weitergegangen, ohne dass wir ein besseres Verständnis von ChatGPT oder anderen Formen künstlicher Intelligenz entwickelt hätten. Die beiden Seiten der technologischen Entwicklung zeigen ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten und gleichzeitig abschreckende Gefahrenpotentiale: Künstliche Intelligenz, Quantum-Computing, Nanotechnologien und eine Vielzahl anderer exponentieller Entwicklungen versprechen Fortschritt und Wohlstand für Millionen Menschen. Gleichzeitig lauern Gefahren im Missbrauch von Daten bis hin zur Frage, wann Künstliche Intelligenz sich selbst ohne Zutun des Menschen weiterentwickelt.

Unklar (und wohl auch ungeheuer) erscheinen den meisten von uns die Auswirkungen von Robotic auf die Arbeitswelt oder von Drohnen auf die wachsende Brutalität moderner Kriegsführung. Künstliche Intelligenz lässt bislang sicher geglaubte Bilder als Beweismittel im digitalen Nebel verschwinden, Texte und sichere Autorenschaft, Nachrichten auf die man bauen kann, all das gehört wohl unwiderruflich ebenso der Vergangenheit an wie die Zeit, in der Individuen über Privatsphäre verfügten.

Der Klimawandel hat in der Presseberichterstattung wegen COP28 in Dubai erheblichen Raum eingenommen. Offiziell sind es fast 90.000 Menschen, die tagelang um Antworten auf die Frage ringen, was getan werden muss, um den drohenden Klimawandel zumindest in Grenzen zu halten. Einvernehmen ist nur schwer festzustellen, zu unterschiedlich sind die Interessenlagen der Beteiligten. Das Paradox geht auch nach COP28 weiter: Nationalstaaten verteidigen mit Klauen und Zähnen ihre jeweiligen Interessen, stimmen nur notgedrungen mühsamen Formelkompromissen zu und lassen es an einer simplen Einsicht fehlen: Viren und Technologien, nuklearer Fallout und Wetterkapriolen kennen keine nationalstaatlichen Grenzen. Auch nach dieser Mammutkonferenz ist die Welt weit davon entfernt, die notwendige geschlossene Handlungsfähigkeit an den Tag zu legen.

Geopolitische Risiken nehmen indessen weiter zu. Der Terrorangriff der Hamas auf Israel hat seit dem 7. Oktober einen weiteren Krieg am östlichen Rand der westlichen Welt ausgelöst, dessen Ausgang unbestimmt und dessen Eskalationsgefahr gewaltig ist. Noch sind es Huthi-Rebellen, die – unterstützt vom Iran – Frachtschiffe und auch einen amerikanischen Zerstörer angreifen. Sollte es in Fortsetzung des israelischen Krieges gegen die Hamas zu einer militärischen Konfrontation zwischen den USA und dem Iran kommen, wäre eine Involvierung der beiden engsten Verbündeten des Iran – China und Russland – nicht mehr auszuschließen. Die Eskalationsspirale dreht sich weiter.

Ergänzend zu den Kriegen in Europa und dem Nahen Osten nehmen die Spannungen im südchinesischen Meer (aktuell zwischen den Philippinen und China, aber auch zwischen den USA und China) weiter zu. Das Szenario eines möglichen chinesischen Angriffs auf Taiwan lässt sich nicht ausschließen, obwohl es unmöglich ist, dieses Szenario mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit zu kalkulieren.

Der Westen zerbröselt

Die geopolitischen Herausforderungen der Gegenwart würden es dringend erforderlich machen, dass der Westen (USA, Kanada und die Staaten der Europäischen Union) in der Lage wären, geeint und geschlossen zu handeln. Dem ist allerdings bei weitem nicht so. In der europäischen Union verfolgen Staaten wie Ungarn Polen, aber auch Frankreich und Italien konsequent eigene Interessen. Vollmundige Ankündigungen aus der EU-Kommission erweisen sich in der Regel als Wunschdenken. Bei nüchterner Betrachtung muss man feststellen, dass die EU nach Außen überdehnt und nach Innen überreguliert ist.

Und die westliche Führungsmacht USA gibt ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen in Anbetracht ihrer gesellschaftlichen und politischen Spaltung allen Anlass zur Sorge. Der Präsident des NATO-Mitglieds Türkei kann er sich sogar erlauben, davon zu sprechen, dass mit den Vereinigten Staaten „keine gerechte Welt“ möglich sei. Die Attraktivität des Westens hat einen Tiefpunkt erreicht.

Autokraten haben einen langen Atem

Gleichzeitig zeigt das vergangene Jahr den langen Atem autokratischer gegen Bewegungen, gegen die schwindende Vormachtstellung des Westens. Auf Initiative Chinas haben die BRICS Staatten einen mächtigen Erweiterungsschritt getan (BRICS+6), die „Belt and Road Initiative“ (BRI) feierte trotz wachsender Zweifel und erheblicher Schwächen in Einzelfällen ihr zehnjähriges Bestehen. Für die Staaten des globalen Südens ist mit dem Aufstieg Chinas eine neue Wahlmöglichkeit auf globaler Ebene entstanden, die bedingt durch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Chinas eine beachtliche Attraktivität entfaltet und den Staaten eine Wahlmöglichkeit zur bestmöglichen Verfolgung ihrer strategischen Interessen eröffnet. Dies gilt sogar für Staaten wie Indien und Brasilien, die zwar über demokratische Grundstrukturen verfügen, aber deshalb nicht zwangsläufig dem westlichen Lager zugerechnet werden können.

Autokraten bestreiten nicht die Notwendigkeit einer regelbasierten globalen Politik. Wie diese Regeln allerdings aussehen, wollen Sie selbst mitbestimmen oder gleich nach eigenen Interessenlagen gestalten. Trotz der offensichtlichen Diversität der einzelnen Akteure gibt es ein verbindendes Element: die Ablehnung der Dominanz westlicher Werte-, Moral- und Regelvorstellungen.

Ein Ausblick auf 2024: Das „Wahljahr“ kann die Welt verändern

Sechs Wahlen, die im nächsten Jahr anstehen, könnten für Deutschland innenpolitisch und geopolitisch tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen. Erst recht, wenn noch eine siebte – eine Bundestagswahl – hinzukäme. Der Reigen beginnt am 13. Januar mit der Präsidentschaftswahl in Taiwan. Es folgt vom 6.-9. Juni die Europawahl, bei der allgemein ein erheblicher Rechtsruck erwartet wird. In den drei Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen am 1. bzw. 22. September dürfte nach heutigem Stand die AfD als klarer Sieger hervorgehen. Den Abschluss des Wahljahres bildet am 6. November die Schicksalswahl des Westens: Die USA entscheiden über ihren künftigen Präsidenten. Sollte er Donald Trump heißen, steht die Handlungsfähigkeit des Westens, die Zukunft der NATO und, wie einige meinen, die Zukunft der Demokratie in den Vereinigten Staaten auf dem Spiel.

Am Ende dieses Jahres bleibt die Einsicht, dass gerade demokratische Politik in Polykrisen vielfältig herausgefordert wird. Das gilt sowohl für die innenpolitische Handlungsfähigkeit wie auch die Interessendurchsetzung auf globaler Ebene. Für Unternehmen und Investoren kann das nur bedeuten, dass ständig aktualisiertes Risikomanagement, maximale Diversifizierung und hohe Flexibilität die einzigen Optionen sind, die ein dauerhaftes Bestehen in einer zunehmend turbulenten Welt zu gewährleisten in der Lage sind.

Sie sind auf der Suche nach hilfreichem Expertenwissen rund um die erfolgreiche Geldanlage?

V-CHECK bietet Ihnen regelmäßig unabhängige Tipps direkt in Ihr Postfach.

Jetzt anmelden

Mit unseren Social Media Kanälen bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Sie finden uns auf: Facebook | LinkedIn | YouTube | Instagram | Pinterest