Revolution am Anleihenmarkt - Renditen auf Mehrjahreshoch: Was Sparer wissen müssen.

Revolution am Anleihenmarkt - Renditen auf Mehrjahreshoch: Was Sparer wissen müssen.


Der unabhängige Vermögensverwalter Dr. Martin Stötzel beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen zum aktuellen Anleihenmarkt und ob Privatanleger jetzt Ihr Depot neu aufstellen sollten.
Dr. Martin Stötzel ist Vorstand der Rhein Asset Management S.A.
Dr. Martin Stötzel ist Vorstand der Rhein Asset Management S.A.

Wohin, glauben Sie, könnten sich die Kapitalmarktzinsen bis Ende des Jahres bzw. Mitte 2023 entwickeln?

Dr. Martin Stötzel: Die Welt ist zinsmäßig gespalten. Die Kapitalmarktzinsen in den USA und in Europa weisen in den vergangenen sechs Monaten einen nie gesehenen Anstieg auf. In Japan dagegen ist der Zinsanstieg ausgeblieben und der chinesische Kapitalmarktzins verzeichnete sogar einen leichten Rückgang. Beide Währungsräume weisen eine erheblich niedrigere Inflation auf, als Europa oder die USA.

Aber eins nach dem anderen: Wir sehen aktuell, dass die Zentralbanken in Europa und den USA ihren expansiven Kurs vorerst beendet haben, um die gestiegene Inflation zu bekämpfen. Allerdings bewegen sich die Zentralbanken auf einem schmalen Grat. Ein „zu hoch“ und „zu schnell“ in der Zinspolitik kann in der aktuell sehr instabilen Lage schnell drastische, negative Auswirkungen auf die Wirtschaft nach sich ziehen. Ob Zinserhöhungen überhaupt die gewünschte Wirkung zeigen, bleibt weiterhin umstritten. Resultiert das Inflationsregime, in dem wir uns befinden, zum größten Teil aus einer durch Lieferkettenprobleme gestörten Angebotsseite, laufen Zinserhöhungen ins Leere.

Hinzu kommt das „Time-lag“, also die zeitliche Verzögerung zwischen Zinserhöhung und Wirkung, die historisch zwischen sechs und zwölf Monaten beträgt. Die FED und die EZB stehen jedoch unter starkem Druck auf die hohen Inflationszahlen zu reagieren. Deswegen gehen wir für die USA davon aus, dass die Kapitalmarktzinsen, wie auch die kurzfristigen Zinsen, noch 1-2 Prozentpunkte steigen werden. Für zehnjährige US-Treasuries wäre das ein Niveau von 4-5%.

Da die europäische Zentralbank aktuell weniger aggressiv vorgeht, rechnen wir mit einem Zinsniveau in Deutschland von 2-3%. Die italienischen Kapitalmarktzinsen sind bereits auf diesem Niveau. Von daher wird sich die Rendite italienischer Staatsanleihen ebenfalls in einem Bereich zwischen 4-5% einpendeln. Was wir heute jedoch noch nicht abschätzen können ist, wie sich das Ende der Anleihekaufprogramme durch die Zentralbanken auf den Anleihemarkt auswirken wird.

Die Kapitalmarktzinsen sind jetzt doch viel schneller gestiegen, als das noch Ende 2021 absehbar war. Wie wirkt sich die Zins-Hausse auf die verschiedenen Anlageklassen aus, v.a. Aktien, Rentenpapiere, Gold?

Dr. Stötzel: Der starke Anstieg der Renditen hat zu starken Kursverlusten in Rentenpapieren geführt. Wir haben dieses Jahr keine Renten-Asset-Klasse gesehen, die keine negative Performance ausweist. Hinzu kommt noch eine Ausweitung der Risiko-Spreads. Der Markt preist nunmehr auch ein leicht erhöhtes Ausfallrisiko zum Beispiel bei Unternehmensanleihen ein. Hier wirkt sich die konjunkturelle Unsicherheit durch die Auswirkungen des Russland-Ukraine Krieges aus. Aktuell verarbeitet der Markt zudem die Unsicherheit für die Konjunkturaussichten aufgrund der Straffung der Geldmarktpolitik der Notenbanken.
Aktien haben unter dem veränderten Zinsumfeld ebenfalls ganz erheblich gelitten. Insbesondere Aktien mit hohen Umsatz – Wachstumsraten, die Zugpferde der mehrjährigen Aktienhausse, verzeichneten während der Zinswende deutliche Kursverluste. Zum einen sinkt die Bewertung der Unternehmen durch die meist weit in der Zukunft liegenden Gewinnzuwächse aufgrund der höheren aktuellen Zinsen.

Unternehmen, die ihr hohes Wachstumstempo über Schulden finanziert haben, müssen in Zukunft wesentlich mehr Zinsen auf ihr Fremdkapital zahlen. Können dann auch noch die gestiegenen Kosten nicht vollständig an die Verbraucher weitergeben werden, schlägt das voll auf die Bewertung dieser Aktien durch.

Für den Goldpreis halten sich positive und negative Auswirkungen aktuell ungefähr die Waage. Das zeigt sich auch bei der Entwicklung des Preises. Die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten sowie eine mögliche Beschleunigung der Inflation sprechen für das Edelmetall. Steigende kurzfristige Zinsen in den USA sowie der feste Dollar sind Kurssteigerungen im Gold eher abträglich. Wir glauben aber, dass die Opportunitätskosten, also der Zinsnachteil des Goldes gegenüber Staatsanleihen aktuell überbewertet wird und sehen für das Edelmetall Kurssteigerungen von bis zu zehn Prozent in den nächsten 12 Monaten als realistisch an.

Müssen Investoren ihre Allokation jetzt überdenken, ihre Depots neu justieren?

Dr. Stötzel: Kapitalanleger mit einem sehr langfristigen Anlagehorizont raten wir Ruhe zu bewahren. Es hat sich in der Vergangenheit immer wieder herausgestellt, dass die negativen Auswirkungen bestimmter politischer Konstellationen im Nachhinein weniger dramatisch waren, als mitten in der Krise gedacht. Selbst die aller-dramatischsten Kursabstürze an den Aktienmärkten wurden im Rückblick relativiert.

Unternehmen mit langfristig tragfähigen Wachstumsstorys, die durch die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Trends profitieren werden immer zukunftsfähig sein. Wir raten Anlegern zu mehr Qualität im Portfolio. Unternehmen sollten solide Bilanzen, geringe Fremdverschuldung, stabile Gewinne und nachhaltiges Wachstum aufweisen. Die Zeiten von Unternehmen, die trotz hoher Wachstumsraten kein Geld verdienen und deren Aktienkurs dennoch spekulativ getrieben wird, sind für die absehbare Zukunft vorbei.

Sollten Kapitalanleger jetzt noch über Kassenpositionen verfügen, macht auch ein Einstieg in qualitativ guten mittellangen Unternehmensanleihen durchaus Sinn. Durch das erhöhte Rezessionsrisiko gilt aber auch hier: Bei der Auswahl auf Qualität achten.


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