
Der Zins ist zurück: Sollen Anleger jetzt wieder Anleihen kaufen?

Sind Zinspapiere tatsächlich schon jetzt kaufenswert oder handelt es sich eher um ein fallendes Messer, weil weitere Kursverluste drohen?
Andreas Görler: Im kürzeren Laufzeitbereich von zwei bis drei Jahren lassen sich mittlerweile, auch bei ordentlicher Bonität, Renditen erzielen, die bei 2%-3% liegen können. Außerdem können Privatanleger auch wieder bei Stückelungen ab EUR 1.000, — handelbare Papiere finden.
Professionelle Investoren, wie Stiftungen, Pensionskassen und Investment- oder Staatsfonds müssen auf größere Emissionen mit hohen Mindeststückelungen zurückgreifen, weil nur hier eine akzeptable Liquidität vorhanden ist.
Was ist der entscheidende Faktor für die weitere Entwicklung?
Görler: Entscheidend ist die Zinsentwicklung am Kapitalmarkt. Im Moment ist die Zinsstruktur davon geprägt, dass die Inflationsraten innerhalb kürzester Zeit auf ein Level gestiegen sind, das man sonst eher nach ca. drei bis vier Jahren erreicht. Das wirkt sich dann verzögert auf die Zinssätze im mittel- bis langfristigen Bereich aus.
Nach 45 Jahren fallender Zinsen, einigen Jahren der „künstlichen Seitwärtsbewegung“ aufgrund der hohen Staatsverschuldung der Industriestaaten, muss man nun mit Zinsanstiegen umgehen.
Steigen die Zinsen am Kapitalmarkt weiter an. hat dies erhebliche Auswirkung auf die Kursentwicklung, langfristiger, niedrig verzinster Anleihen, die dann weiter sehr stark fallen.
Welche Regionen und Laufzeiten könnten sich besonders lohnen – und wie kann man darin sinnvoll investieren?
Görler: Als europäischer Privatinvestor würde ich im Euroraum bleiben und keine Währungsrisiken eingehen. Unternehmensanleihen mit mittlerer bis guter Bonität sollten vorgezogen werden. Man sollte kürzere Laufzeiten vorziehen. Auch hier fallen die Kurse, wenn die Zinsen steigen. Allerdings bei weitem nicht so stark, wie bei langfristigen Papieren. Unterstellt man aber die ordentliche Rückzahlung zu 100 %, bleibt die Rendite, bei Kauf aber fix und die Kursschwankungen stören dann nicht so sehr.
Bei einer kürzeren Laufzeit ist das Risiko des Anleiheausfalls auch geringer, weil man die betriebswirtschaftliche Entwicklung besser einschätzen kann.
Zu berücksichtigen ist unbedingt, die sehr schwierige Liquiditätssituation am Markt. Privatanleger, die direkt einzelnen Anleihen erwerben möchten, können Ordervolumina von einigen tausend Euro, limitiert umsetzen, sollten sich aber dann trotzdem darauf einstellen, die Papiere bis zum Schluss im Depot zu belassen.
Was ist mit Rentenfonds / Renten-ETFs: wie werden die sich schlagen?
Görler: Ich würde tendenziell aktive Rentenfonds mit kürzeren Laufzeiten vorziehen. Anbieter wie ANAXIs aus Frankreich oder Oddo BHF aus Deutschland verfügen über ein ordentliches Angebot an Laufzeitfonds. Hier sind auch kürzere Laufzeit integriert. Aktuell gibt es hier auch interessante Opportunitäten für Neueinsteiger, da auch diese Fondsgruppe natürlich Kursverluste zu verzeichnen hat.
Was sollten Anleger in jedem Fall tun, wenn Sie Anleihen / Rentenfonds besitzen? Eher umschichten?
Görler: Wer in mittel- bis langfristige Rentenfonds investiert ist, hat in diesem Jahr Kursverluste im zweistelligen Prozentbereich. Die Reduktion entspricht hier praktisch dem Aktienmarkt.
Sofern die Zinsentwicklung weiter anzieht, gibt es weiteres Reduktionspotential.
Es ist auch eine andere Situation als in der Finanzkrise. Damals sind Unternehmensanleihen teilweise um 50%- 60% gefallen. Strukturierte Produkte sogar noch deutlich stärker, weil Banken sich untereinander kein Geld geliehen haben und Firmen entsprechend noch schwieriger an Liquidität kamen. Als die Situation sich entspannt hatte, erholten sich die Anleihekurse allerdings auch wieder relativ schnell.
Liegt aber eine Phase nachhaltig steigender Zinssätze am Kapitalmarkt vor, fallen die Kurse von emittierten festverzinsten Wertpapieren aber permanent. Nur wer jeweils neu einsteigt, erhält dann eine Rendite auf dem erhöhten Niveau bis zum Laufzeitende.
Schichtet man aber aus dem langen Laufzeitband in das kürzere Segment, bringt man sich auch um das Erholungspotential. Wenn man jetzt aus langen Laufzeiten aussteigt, ist es daher ggfs. sogar interessanter in Aktien oder Mischfonds umzuschichten. Zwar gibt es auch Druck auf den Aktienmarkt, wenn Zinssätze anziehen. Allerdings stabilisieren sich Sachwerte mit einer Verzögerung und bieten dann auch einen gewissen Inflationsausgleich ohne, dass es hier eine feste Korrelation gibt.
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