
Anlagestrategie: "Für Wetten sollte man lieber ins Kasino gehen"

Herr Funke, wie erklären Sie Laien den Begriff „Behavioral Finance“?
Christian Funke: Die „Behavioral Finance“ Forschung beschäftigt sich mit verhaltenswissenschaftlichen Phänomenen und deren Einfluss auf Entscheidungen am Finanzmarkt. Im Kontext der Börse zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse beispielsweise, dass Anlageentscheidungen sehr oft von Emotionen begleitet werden: Gefühle wie Angst oder Gier beeinflussen, wie Anleger investieren. Und das leider nicht im positiven Sinne.
Sie haben es bereits angesprochen: Emotionen haben an der Börse eigentlich nichts verloren. Warum kann ein typischer Anleger sie trotzdem nicht ausblenden?
Funke: Die Theorie besagt, dass der vollständig rationale Homo oeconomicus der volkswirtschaftlichen Modelle sich niemals von Emotionen leiten lassen sollte. Nun ist es allerdings zum Beispiel sehr schwer, sich in einer Crash-Situation von Emotionen frei zu machen – also während deutlicher Kursrückschläge wie beispielsweise im Corona-Crash März 2020 oder dieses Jahr im inflations- und zinsinduzierten Marktrückgang. Man kann es sich so vorstellen, und die Forschung bestätigt dies anhand vieler Studien: Oft gewinnt die Angst überhand und es werden Aktien zu Tiefstkursen verkauft, um sich vor drohenden weiteren Kursverlusten zu schützen. Dabei gibt es Situationen, wo gerade im Gegenteil ein antizyklisches Handeln sinnvoll sein kann und sich Chancen und Kaufgelegenheiten ergeben.
Ein weiteres Phänomen an der Börse ist der sogenannte Herdentrieb. Wie äußert sich dieses Verhalten?
Funke: Der Herdentrieb lässt sich sehr schön am Run auf die hoch bewerteten und hoch gewetteten Technologie-Wachstumswerte der letzten Jahre vorstellen: Anleger haben in einer Art selbst verstärkenden Narrativ auf die Digitalisierungsgewinner der Zukunft gesetzt, welche scheinbar mühelos von einem Kurshoch zum Nächsten eilen konnten und als sichere Wette erschienen. Anleger, die auf Diversifikation im Portfolio setzten und auch Value-Titeln einen Platz einräumten, gerieten im Vergleich zum Markt ins Hintertreffen und vielfach in Erklärungsnot. Erst der Inflationsschock dieses Jahres und der starke Zinsanstieg brachte Growth-Titel wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und ließen die Kurse vieler, vorher hoch gewetteter Aktien um mehr als 50 Prozent abstürzen. Die größten und prominentesten Beispiele sind dabei in 2022 sicherlich Meta (Facebook), Paypal und Netflix.
Welche weiteren Fehler machen Anleger immer wieder?
Funke: Dazu zählt auf jeden Fall der sogenannte Home Bias. Dabei setzen Anleger sehr oft auf den eigenen Heimatmarkt und geben diesem ein zu hohes Gewicht. Die Bedeutung einer guten globalen Diversifikation wird dabei oft vergessen und vor allem der wichtigste und bedeutendste Kapitalmarkt der Welt, der US-Aktienmarkt, von vielen Anlegern vernachlässigt oder nur ungenügend mit wenigen, sehr beliebten Einzeltiteln wie Apple, Amazon oder Microsoft abgebildet.
Ein weiteres Beispiel für einen sehr oft zu beobachtenden Fehler ist eine zu hohe Risikoabneigung in der Aufteilung der Assets: Anleger investieren sehr oft aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus mit eher niedrigen Aktienquoten. Um dann aber dennoch Chancen zu suchen, werden bei der Selektion, also der Einzeltitelauswahl, im Aktienbereich eher riskante Aktien gekauft. Viel sinnvoller und gewinnbringender aus Risiko-Renditegesichtspunkten wäre ein strukturierter Portfolioansatz mit einer höheren Aktienquote, dafür aber eher defensiven und „langweiligen“ Aktien in der Auswahl.
Zu solch einer riskanten Aktie stellte sich im Nachhinein Wirecard heraus. Wieso fallen Anleger immer wieder auf solche Betrugsfälle herein?
Funke: Wirecard ist ein gutes Beispiel für einen Lottery Stock. Die eben beschriebene Neigung, die Chancen in der Einzeltitelauswahl im Aktienbereich zu suchen, führt dazu, dass sehr oft riskante Titel mit einer schönen Wachstumsgeschichte oder einer Turnaround-Situation gekauft werden. Anstatt sich auf höher kapitalisierte defensive Titel zu konzentrieren, sollen diese Einzelaktienwetten für eine ordentliche Performance des Depots sorgen. Es lassen sich mit derartigen Aktien auch viel spannendere Geschichten rund um das eigene Portfolio und die eigene Investmentexpertise erzählen, als wenn man die mehr als 50 Positionen eines gut diversifizierten, defensiven Substanzaktienportfolios aufzählt.
Wie macht man es besser?
Funke: Kapitalanlage sollte im besten Fall eigentlich genau das sein: Systematisch, strukturiert, langweilig – ohne großes Storytelling und besondere Wetten. Dafür sollte man nämlich besser ins Spielkasino gehen!
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