Die Börse handelt in solchen Zeiten nicht immer rational

Die Börse handelt in solchen Zeiten nicht immer rational


In der Auswahl geeigneter Aktien sollte sich ein Anleger mit der Qualität des Unternehmens auseinandersetzen. Das empfiehlt Vermögensverwalter Mail Bolsmann im Interview. Denn Unternehmen mit hohen Cashbeständen, geringer Verschuldung und hoher Profitabilität werden es einfacher haben, diese Krisenzeit zu überstehen.

Herr Bolsmann, wie bewerten Sie aus ihrer Sicht die derzeitige konjunkturelle Situation?

Maik Bolsmann: Die Volkswirtschaften haben weltweit einen beispiellosen Einbruch in kürzester Zeit erlebt. Die Lockdown-Maßnahmen rund um den Globus führten zu der Situation eines gleichzeitigen Angebots- wie Nachfrageschocks. Hinzu kam verschärft durch Machtkämpfe der Fördernationen auf dem Ölmarkt noch ein Preisschock in diesem global von hoher Bedeutung stehenden Rohstoff hinzu. Die stark global verstrickten Fertigungs- und Logistikketten wurden abrupt gestört. Das könnte eine nachhaltige Rückentwicklung zur Regionalisierung einleiten. Die Art und Weise wie und was wir konsumieren, wie und von wo aus wir zukünftig arbeiten werden wird uns in eine „neue Normalität“ führen. 

Feuer löscht man am Besten mit Wasser und genau das machen die Notenbanken mit aller Kraft. Die Märkte werden mit Liquidität regelrecht geflutet. Die Maßnahmen der FED in der Coronakrise stellen diejenigen aus der Finanzkrise weit in den Schatten. Ohne die beispiellosen Maßnahmen der Notenbanken und der wirtschaftlich führenden Staaten wären zahlreiche Unternehmen, Privathaushalte und folglich auch das Bankensystem vielerorts von der Existenz bedroht. Die Liquiditätsspritzen waren und sind dringend notwendig. Sie heilen aber lediglich die Wunde. Der Patient muss zunächst einmal am Leben gehalten werden bevor es an die Regenerationsphase geht. Und noch ist nicht klar, wie viele Mittel alleine für die lebenserhaltenden Maßnahmen noch benötigt werden.

Das Züchten einer Schuldenblase ist hier ein Szenario für die Zukunft und muss zu gegebener Zeit diskutiert werden. Aktuell sehen wir parallel zu den sinkenden Neuinfektionen sowie aktiven COVID-19-Fällen eine Erholung der volkswirtschaftlichen Daten auf niedrigem Niveau. Manche Sektoren haben über 90% ihres Umsatzes eingebüßt; der Blick nach vorne ist hier von der Hoffnung getrieben, dass es ja schlimmer nicht mehr kommen kann. Besonderes Augenmerk wird dem Arbeitsmarkt gelten. Der historisch dynamische Anstieg der Arbeitslosigkeit in den USA ist erschreckend. Die gleichzeitig deutlich ansteigenden, durchschnittlichen Stundenlöhne zeigen dabei eine bittere Erkenntnis darüber welche Jobs in der Breite weggefallen sind. Es sind die Starken, die stärker werden und die Schwachen, die schwächer werden. Dies birgt eine Gefahr der Zuspitzung sozialer Spannungen innerhalb einer Gesellschaft, in der die Schere wischen arm und reich bereits vor der Coronakrise weit auseinandergeklafft war.

Was folgt daraus das für Anleger?

Bolsmann: Die Volatilität an den Börsen hat sich zwar von Ihren Höchstwerten im März etwas gelegt, sie bleibt jedoch hoch. Es kann jederzeit eine Nachricht kommen, die zu einem regelrechten „Gamechanger“ wird und die Märkte mit hoher Dynamik in die eine oder die andere Richtung lenkt. In der Auswahl geeigneter Aktien sollte sich ein Anleger mit der Qualität des Unternehmens auseinandersetzen. Unternehmen mit hohen Cashbeständen, geringer Verschuldung und hoher Profitabilität werden es einfacher haben, diese Krisenzeit zu überstehen.

Die großen, qualitativ starken Unternehmen werden ihre Macht ausbauen und an Marktanteilen gewinnen. Mittel- bis Langfristig spricht in einer Welt ohne Zinsen weithin vieles für Wachstumstitel. Hier gilt weiterhin „Never fight the FED“.

Aktien bleiben die erste Wahl, denn im Umfeld von Nullzinsen und zumindest aktuell noch nicht gewollter Negativzinsen in den USA gilt TINA – „There is no Alternative“.

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Experten beschreiben derzeit vier Szenarien, wie sich die Wirtschaft entwickeln wird und weisen diesen Beschreibungen die Buchstaben L, U, V und W zu. Können Sie mit ihren Worten erklären, was dahinter steckt?

Bolsmann: Die Buchstaben zeigen in Ihrer Form den Weg der Erholung einer Wirtschaft nach einem deutlichen Einbruch an. Die Märkte sehen häufig durch akute konjunkturelle Schwächen hindurch und preisen  die Erwartung in die Zukunft ein. Aktuell preisen die Märkte eine schnelle V-förmige Erholung zurück zur alten Welt vor Corona ein.

Der große Teil der professionellen Marktteilnehmer wie Fondsmanager, Assetmanager oder Volkswirte gehen von einer U-förmigen Erholung aus. Dabei erfährt die Erholungsphase nicht die gleiche Dynamik wie der vorherige Abschwung, sie nimmt jedoch mit der Zeit exponentiell an Fahrt zu. FED-Präsident Jerome Powell betonte zuletzt, dass die Erholung längere Zeit benötige, als ursprünglich in ersten Prognosen gedacht.

Wie verlässlich sind solche Prognosen?

Bolsmann: Das große Problem für die Wirtschaft ist und bleibt die große Unsicherheit, die weiterhin auf vielen Ebenen herrscht. Wann gibt es auf der Ebene der Gesundheit endgültige Entwarnung? Vermutlich erst wenn ein Impfstoff in ausreichender Kapazität auf dem Markt ist. Wie tief sind die Kerben auf dem Arbeitsmarkt? Welche und wie viele Jobs fallen dauerhaft weg? Wie sehr wird das Konsumentenverhalten der Gesellschaft beeinflusst?

Ein Modell basiert meistens auf Annahmen zu Variablen und so gehen die Meinungen über den zukünftigen Verlauf weit auseinander. Eine valide Prognose ist zum aktuellen Zeitpunkt jedoch schlichtweg nicht möglich. Zu ungewiss sind viele Parameter über die Schwere und Dauer der wirtschaftlichen Folgen.

Woran sollten Anleger sich für ihre Geldanlage orientieren?

Bolsmann: Es ist keinesfalls eine einfache Situation für Anleger in der aktuellen Zeit. Grundsätzlich ist es immer das wichtigste, sich ganz klar über die eigenen Ziele und die eigene Risikotragfähigkeit zu sein. Die Börse handelt in solchen Zeiten nicht immer rational. Häufig verleitet sie zur Gier nach dem schnellen Geld. Doch Rendite geht immer mit dementsprechend adäquatem Risiko einher. Man könnte gemäß der Arbitragetheorie sagen “There is no free lunch & no free lottery”. Oder: Wer die Hitze nicht verträgt, der sollte besser nicht in der Küche und erst recht nicht am Herd stehen.

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