
Interview: "Die Börsenkurse werden bald wieder fallen"
Ist die aktuelle Krise an der Börse ausgestanden? Die Kurse haben sich ja kräftig erholt.
Lothar Koch: Nein, das glaube ich nicht. Nach der Verkaufspanik gab es eine ausgeprägte Rallye im Bärenmarkt. Diese wurde durch die Zinssenkungen und fiskalischen Maßnahmen der Notenbanken bzw. die Liquiditäts- und Kredithilfen sowie die Konjunkturprogramme der Staaten rund um den Globus ausgelöst. Erst in den kommenden Wochen werden wir die Auswirkungen des weltweiten Abbremsens der Konjunktur erleben. Die Arbeitslosenzahlen sind in den USA schon deutlich angestiegen. Das wird auf den Konsum durchschlagen. Die US-Wirtschaft hängt zu 70 Prozent vom Konsum ab. Bricht dieser ein, werden die Umsätze und Gewinne der Firmen deutlich sinken.
Da durch die Aktienrückkaufprogramme der letzten Jahre in den USA die Anzahl der ausstehenden Aktien einer Gesellschaft gesunken ist, fällt der Verlust pro Aktie in einer Rezession entsprechend höher aus. Das wiederum setzt den Aktienmarkt unter Druck. Das größere Problem wird aus meiner Sicht aber der Anleihemarkt sein. Vor allem hoch verschuldete Unternehmen werden von den Ratingagenturen ein schlechteres Rating bekommen. Sie müssen sich dann teurer refinanzieren. Je nachdem wie stark die Umsätze und Gewinne der Unternehmen fallen, kommt es zu Ausfällen am Anleihemarkt. Da sehe ich aktuell das größere Risiko.
Wenn die Corona-Maßnahmen wie in Deutschland wieder gelockert werden, kann sich die Wirtschaft doch schnell wieder erholen?
Koch: Bereits vor der Corona-Krise sanken die beiden wichtigsten Industrierohstoffe Öl und Kupfer deutlich. Auch der Baltic Dry Index für die Frachtraten in der Seeschifffahrt verlor bereits seit Dezember 2019 sehr stark. Der Realwirtschaft ging es schon vor der Pandemie deutlich schlechter als die euphorischen Börsen anzeigten. Zyklische Branchen laufen schon seit 2018 schlechter als der Aktienmarkt insgesamt. Auch die technischen Indikatoren hatten sich zusehends verschlechtert.
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Welche technischen Indikatoren sind für Sie relevant?
Koch: Den einen wichtigen technischen Indikator gibt es leider nicht. Ich setze auf die Kombination von zehn unterschiedlichen technischen Kriterien, mit denen ich versuche, die Verfassung oder Stärke eines Marktes zu messen. Beispielsweise sank der DAX-Score von Ende Dezember auf Januar von acht auf vier Punkte. Gleichzeitig stieg der Bund-Future, eine synthetische Zehn-Jahresanleihe der Bundesrepublik, von drei auf neun Punkte. Das Öl fiel von acht auf einen Punkt. Das sind erhebliche Veränderungen, die anzeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Wie tief werden die Kurse fallen?
Koch: Das weiß ich leider nicht. Auch wenn ich die Lage mit einer gesunden Portion Skepsis betrachte, gehöre ich nicht zu den Crash-Euphorikern. Wir stecken in einer Wirtschaftskrise, die durch ein Virus ausgelöst wurde, dessen Gefahr wir immer noch nicht abschließend beurteilen können. Es kann, wenn die aktuelle Infektionswelle abebbt, durch die Lockerung der Kontaktbeschränkungen eine zweite Infektionswelle geben. Erst wenn das Ausmaß der Auswirkungen der ersten Welle auf die Realwirtschaft bekannt sind, werden wir mehr sagen können. Positiv ist, dass die Insiderkäufe im März/April stark zugenommen haben. Die Manager scheinen der Ansicht zu sein, dass die Auswirkungen der Corona-Krise teilweise eingepreist sind. Ich bin da noch vorsichtig.
Was soll ich jetzt als Privatanleger machen: kaufen, halten, verkaufen oder auf die fallenden Kurse zum Kaufen warten?
Koch: Für die nächsten Wochen sehe ich eher schwächere Kurse. Wem es gelungen ist, auf den Tiefstkursen einzusteigen, kann sich folgendes überlegen: Ein Drittel der Position verkauft man jetzt. Ein weiteres Drittel sichert man durch ein Stopp-Loss-Limit ab und ein Drittel hält man. Dieser Ansatz hat Mitte Februar sehr gut funktioniert und hohe Verluste vermieden. Geht es weiter nach oben, ist man mit zwei Drittel der Position dabei. Fällt es wie im Februar rapide, hat man den Verlust nur auf einem Drittel der eigentlichen Position. Dieser Ansatz ist sehr hilfreich für Schaukelbörsen und insbesondere in einem Bärenmarkt wie diesem. Parken Sie die Liquidität. Erst wenn der Markt auf schlechte Nachrichten nicht mehr fällt, haben wir den Boden gefunden. Wie im im vierten Quartal 2018 werden dann die die technischen Indikatoren wieder nach oben drehen.
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