
Zweifelhafte Zertifikate: Hausbanken empfehlen zu komplexe Produkte
Inhalt:
- Hausbanken empfehlen zu komplexe Produkte
- Servicekasten: So funktionieren Zertifikate
- Beispiel: 90 Jährige Anlegerin
- Interview mit Vermögensverwalter Marian Henn: „Zertifikate sind etwas für Profis und nichts für den Notgroschen“
- Grafik: Breite Zertifikate-Palette
Früher war alles so einfach: Da gingen Kunden zur nächsten Sparkasse oder Volksbank und brachten ihr Erspartes aufs sichere Sparbuch. Heute gilt so etwas zu Recht als überholtes Investment und mancher Berater wird sehr kreativ, wenn es um Alternativen geht. Da heißt es aufzupassen. Denn gerade bei der Hausbank um die Ecke werden verstärkt Zertifikate als Anlagemöglichkeit empfohlen. Das Geschäft mit ihnen boomt laut dem Bundesverband für strukturierte Wertpapiere in Deutschland: Zum Jahreswechsel waren 112 Milliarden Euro in diese Art Finanzprodukte investiert, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Die führenden Anbieter sind ausgerechnet aus dem Sparkassen- und Volksbanklager und teilen sich mehr als zwei Drittel des Marktvolumens. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) beobachtet diese Entwicklung gerade genau, ob noch ein anlegergerechter Vertrieb gewährleistet ist. Denn solche Produkte sind nicht für jedermann geeignet und können hohe Verluste einbringen, wie der folgende Fall zeigt.
Fallbeispiel: Teure Anlagealternative
Eine 91-jährige wollte vor etwas mehr als zwei Jahren ihre Ersparnisse von 20.000 Euro anlegen. Sie bekam dafür vom Berater ihrer örtlichen Sparkasse ein Zertifikat (s. Servicekasten) mit vermeintlich besseren Zinsaussichten als etwa bei einem Tagesgeldkonto empfohlen. Tatsächlich klangen garantierte 2,3 Prozent im Jahr nach einem guten Angebot in damaligen Zeiten von mehr oder weniger Nullzinsen. Leider war sich die betagte Sparerin aber wohl nicht ganz darüber im Klaren, zu welchen Bedingungen sie hier investierte. Denn die Zinsgarantie galt nur in den ersten zwei Jahren. Anfang diesen Jahres blieb dann nicht nur der Ertrag aus, der ab da an die Entwicklung eines Referenzzinssatzes gebunden war. Sondern auch der Kurswert des Zertifikats sank um mehr als 50 Prozent. Denn was sie wohl ebenfalls nicht ganz verstanden hatte, das Produkt hat eine Laufzeit von 20 Jahren, das eingesetzte Kapital wird erst im Jahr 2041 vollständig zurückgezahlt. Da sie nicht so lange warten wollte, verkaufte die inzwischen 93-jährige das Zertifikat mit rund 10.000 Euro Verlust. Ein teurer Versuch, die damals mageren Zinsen auf einem Tagesgeldkonto zu umgehen.
Servicekasten: So funktionieren Zertifikate
Kein Produkt für Alle
„Der Vergleich mit Tagesgeldangeboten verbietet sich“, erklärt Michael Thaler, Vorstand beim Starnberger Vermögensverwalter Top Vermögen AG. Denn solche Produkte, obwohl sie oft auch als sicher eingestuft werden, sind deutlich komplexer als die bekannten Sparprodukte und sind grundsätzlich nichts anderes als Schuldverschreibungen. „Anleger haben mit strukturierten Zertifikaten wohl zugegebenermaßen in der Regel höhere Renditechancen, aber eben neben dem Emittentenrisiko auch so gut wie immer ein Kursrisiko, welches von den Entwicklungen am Kapitalmarkt abhängig ist“, erläutert Anlagefachmann Michael Thaler und rät, auch die manchmal gar nicht so geringen Kosten mit einzukalkulieren.
Auch Marian Henn, Vermögensverwalter und Partner bei der Allington Investors AG aus Bad Homburg, sieht die Produkte zumindest für normale Anleger kritisch: „Zertifikate sind hauptsächlich ein Investmentwerkzeug für Profis, da haben sie auch ihre Berechtigung.“ Aber für den Ottonormalverbraucher, der meist nur Geld parken oder relativ sicher Vermögen aufbauen will, eignen sie sich meist nicht. Er empfiehlt hier eher einen Sparplan auf einen klassischen Aktien- oder Mischfonds, um langfristig Kapital zu bilden, statt auf Zertifikate zu setzen (s. Interview). Nur wer ganz genau versteht, zu welchen Bedingungen investiert wird, wofür ein Zertifikat geeignet ist und welche Risiken es hat, sollte es nutzen.
Beispiel:
Das Produkt der 90+Anlegerin: DekaBank Geldmarktanleihe Flex 05/2041 (K) (ISIN: DE000DK00B85)
Das Zertifikat der zum Sparkassenuniversum zählenden DekaBank ist eine Wette auf die Entwicklung des Euribors. Das ist der Zinssatz, zudem sich europäische Banken gegenseitig Geld leihen. Der lag 2021, als das Produkt herausgegeben wurde, im Minus und notiert heute, nach der überraschend schnellen Zinswende, wieder zwischen drei und vier Prozent im Plus. Das Zertifikat mit 20 Jahren Laufzeit lockte Anleger mit für zwei Jahren garantiertem Zins von 2,3 Prozent. Aus damaliger Sicht ein sehr gut Zinssatz. Wäre der Euribor die nächsten 18 Jahre im Minus geblieben, hätten sich Anleger immerhin weiter über maximal zwei Prozent Zinsen pro Jahr freuen können. Die Wette hat allerdings auch ein Haken: Erreicht der Zins wieder den positiven Bereich, wird er mit dem Faktor vier multipliziert und von diesem Maximalzins abgezogen. Das heißt ab 0,5 Prozent Euribor oder darüber liegt die Zinszahlung bei null. Da dadurch theoretisch kein Verlust entsteht und die Auszahlung des investierten Kapitals in 20 Jahren zu 100 Prozent garantiert ist, wurde das Produkt als recht sicher eingestuft. Anlegern muss aber bewusst sein, dass natürlich bis dahin bei einem Euriborzins von 0,5 Prozent oder mehr niemand oder nur mit sehr großem Abschlag dieses Zertifikat abkaufen will. Das heißt, der Kurs des Wertpapiers kann zwischenzeitlich empfindlich sinken.
Interview: „Zertifikate sind etwas für Profis und nichts für den Notgroschen“
Sind strukturierte Zertifikate eine gute Alternative zu Tagesgeld- oder Festgeldangeboten?
Marian Henn: In der Nullzinsphase konnte das unter bestimmten Voraussetzungen eine Idee sein, aber nachdem wir die Zinswende hatten, sind strukturierte Zertifikate gerade für Normalkunden sicher keine Alternative mehr. Denn wer ein Tages- oder Festgeldangebot in Betracht zieht, will in der Regel kein Kapitalverlustrisiko eingehen und im besten Fall noch laufende Erträge generieren. Über Investments am Geldmarkt können Anleger derzeit eine Rendite von bis zu 3,7 Prozent im Jahr erzielen, bei hoher Bonität und niedrigem Zinsänderungsrisiko. Auch bei klassischen Sparkonten gibt es durchaus ordentliche Angebote, da braucht es kein komplexes Zertifikatprodukt als Alternative.
Was muss generell bei solchen Produkten unbedingt beachtet werden?
Henn: Es müssen die Risiken und Bedingungen verstanden werden. Grundsätzlich besteht dabei immer das sogenannte Emittentenrisiko und damit die Gefahr das eingesetzte Kapital zu verlieren. Mit anderen Worten, wenn der Zertifikate Anbieter Pleite geht, kann alles weg sein. Außerdem sind oft die Risiken in den Bedingungen asymmetrisch verteilt. Das heißt, wenn es so läuft, wie man es erwartet, wird der mögliche Gewinn gedeckelt. Kommt es anders, ist der Investor aber in vielen Fällen voll am Verlust beteiligt. Käufer sollten sich auch anschauen, ob der Anbieter zum Beispiel bei sogenannten Marktstörungen die Option hat, keine Kurse zu stellen. Denn genau das sind oft die Situationen, in denen man verkaufen will, aber es dann einfach nicht kann.
Würden Sie einer über 90-jährigen mit 20.000 Euro Ersparnissen ein Zertifikat mit einer Laufzeit von 20 Jahren empfehlen?
Henn: Ganz sicher nicht, denn die Laufzeit ist viel zu lang. Die Kundin dürfte eine plangemäße Rückzahlung statistisch betrachtet nicht erleben. Außerdem scheinen in diesem Fall die kompletten Ersparnisse in ein Produkt geflossen zu sein, was gegen die erste Grundregel am Kapitalmarkt verstößt: Diversifikation. Statt Risiken zu bündeln, sollten sie möglichst breit verteilt werden oder bildlich gesprochen, es sollten nicht alle Eier in einen Korb gelegt werden. Außerdem sind solche Produkte so komplex, dass die allermeisten Anleger sie nicht bis ins Details durchblicken. Und hier greift ein weiteres Grundprinzip: Was man nicht versteht, sollte man sich auch nicht als Geldanlage zulegen.
Sind Zertifikate überhaupt etwas für den „Ottonormalverbraucher“?
Henn: Diese komplexen Produkte sind für den durchschnittlichen Anleger eher nichts. Die meisten wollen langfristig Vermögen aufbauen und hier gibt es ein breites Spektrum an geeigneten passiven und aktiv regulierten Fonds, in die zum Beispiel per Sparplan investiert werden kann. So etwas bringt auch mögliche Wertschwankungen mit sich, aber wer das aushalten kann, wird in aller Regel langfristig belohnt. Im Anleihen-Bereich gibt es ebenfalls wieder eine breite Palette attraktiver Möglichkeiten, mit der sich ein gut ausgewogenes Anlageportfolio für praktisch jeden Risikotypen zusammenstellen lässt. Da braucht es keine Zertifikate.
Sind Zertifikate per se „Teufelszeug“?
Henn: Nein, in bestimmten Fällen können Zertifikate für professionelle Anleger sinnvolle Anlagevehikel sein. Etwa um in schwer zugängliche Märkte, in Währungen oder in bestimmte Markttendenzen zu investieren. Profis setzen so etwas auch als eine Art Versicherung ein, um Kurschwankungen abzupuffern. Zertifikate sind also nicht per se etwas Schlechtes. Aber wer sie nutzt, muss genau verstehen, was er da kauft und wofür sie geeignet sind. Außerdem schadet es nicht, genug Erfahrung zu haben, um zu wissen, dass hunderprozentig zuverlässige Prognosen meist nicht möglich sind und jeder mal daneben liegen kann.
In den USA können Privatpersonen keine Zertifikate kaufen, sollte das hierzulande auch so sein?
Henn: Nein, professionell eingesetzt und mit dem richtigen Verständnis können Zertifikate auch Privatanlegern nützlich sein. Im Rahmen einer umfassenden Beratung und eines breit aufgestellten Vermögensmix‘, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, das punktuell einzusetzen, wenn die Risiken verstanden werden. Damit lassen sich interessante Nuancen gerade bei größeren Vermögen setzen. Aber die Hürden, dass so etwas einem Ottonormalverbraucher mit begrenztem Kapital empfohlen wird, sollten hoch sein. Und der sprichwörtliche Notgroschen gehört ganz sicher nicht in ein Zertifikat.
Grafik: Breite Zertifikate-Palette

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