Stagflation – wohin steuert die deutsche Wirtschaft? Wie können sich Anleger positionieren?

Stagflation – wohin steuert die deutsche Wirtschaft? Wie können sich Anleger positionieren?


Die öffentliche Diskussion zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausblick Deutschlands für den Winter ist düster. Neben dem Krieg in der Ukraine sowie steigenden Corona-Zahlen belastet vor allem die Energiekrise und die damit verbundene Inflation die Gemüter der Bürgerinnen und Bürger.

Während die Europäische Zentralbank (EZB) jahrelang das Wirtschaftswachstum mithilfe einer Flut des günstigen Geldes aufrechterhalten konnte, ist das Instrument der monetären Lockerung bei zum Teil zweistelligen Inflationsraten Geschichte. Doch auch wenn andere westliche Zentralbanken mutig die Zinsen erhöhen, steckt die EZB im Dilemma der Fragmentierungsgefahr. Eine zu starke Zinserhöhung im Euroraum birgt das Risiko, einzelne Staaten in eine Schuldenkrise zu katapultieren, allen voran Italien. Im Ergebnis droht eine Stagflation, eine Periode von rückläufigem Wachstum bei weiterhin erhöhter Inflation.

Der Energiemarkt

Im Zentrum des Inflationsgeschehens steht als Konsequenz des Krieges die Sorge um die Energieverfügbarkeit. Insbesondere die Gasknappheit treibt die Ängste vor kalten Wohnungen und Produktionsstopps. Obwohl Russland die Gaslieferungen regelmäßig aussetzt, sind die Gasspeicher momentan allerdings noch gut gefüllt. Insbesondere Norwegen, aber auch Belgien und die Niederlande unterstützen Deutschland dabei den Ausfall Russlands abzufedern. Auch der Gasverbrauch der Deutschen ist laut Bundesnetzagentur im Vergleich zum Vorjahr bereits deutlich zurückgelaufen, sodass die Senkung des Durchschnittsverbrauchs um 15 Prozent im Sinne des EU-Notfallplans bereits erfüllt werden konnte. Unter der Annahme eines klimatisch gewöhnlichen Winters und keinem vollständigen Lieferstopp seitens Russlands ist von einer tragbaren Situation auszugehen. Doch was passiert, wenn Russland kein weiteres Gas liefert? Sollte die Bundesregierung bis zum 01.11.2022 das Ziel eines Gasspeicherfüllstandes von 95 Prozent erreichen, würde dieser bei vergleichbaren Bedingungen zum letzten Winter ohne signifikante Sparmaßnahmen voraussichtlich bis etwa Anfang März 2023 reichen. Bewertet man die unterschiedlichen Szenarien zeigt sich, dass die Sorge einer bevorstehenden Gasrationierung im Winter als Basisannahme aktuell keine rationale Erwartung ist. Die Gasverfügbarkeit ist begrenzt, aber es gibt keinen Grund zur Panik.

Die Wirtschaft

Auch wenn die verfügbare Gasmenge wahrscheinlich keine Rationierung auslösen wird und entsprechende Panikmache absolut unangebracht ist, bleibt der Gaspreis eine unumgängliche Herausforderung, der die Inflation weiter befeuert. Deutliche Anstiege der Energiepreise sowie erhebliche Schwankungen machen das Umfeld für alle Marktteilnehmer schwierig. Ob in Form explodierender Nebenkostenabrechnungen oder erzwungener Produktionsrückgänge: Konsumenten und Unternehmen werden gleichermaßen getroffen. Da auch die EZB auf Grund der drohenden Fragmentierung der Eurozone nur begrenzt einschreiten kann, ist die Hoffnung, dass in Deutschland trotz der Energiekrise eine Rezession verhindert wird, mittlerweile spekulativ. Der Weg aus der Inflation wird immer wahrscheinlicher durch eine erhebliche Wachstumsverlangsamung und einer steigenden Arbeitslosigkeit geebnet, wodurch die Nachfrage der Konsumenten sinkt.

Die Börse

Während die Bundesregierung sowie Großteile der Bevölkerung weiterhin bereit sind, die negativen Konsequenzen resultierend aus der Verteidigung unseres Wertesystems zu tragen, sind die Aussichten auf die Widerstandskraft des deutschen Aktienmarktes weitaus weniger robust. Auch wenn eine Reduktion der geopolitischen Spannung jederzeit eine kräftige Erholung herbeiführen könnte, ist in Anbetracht des andauernden Krieges, des rückläufigen Wachstums und der noch immer wachsenden Inflation keine baldige Besserung in Sicht. Während der Krieg eine Art Deckel auf den deutschen bzw. europäischen Kapitalmarkt legt, bleibt jedoch zu betonen, dass die Lage international wesentlich konstruktiver bewertet werden kann. Auch wenn die aktuelle Inflation ein globales Phänomen ist und viele Volkswirtschaften mit Zinserhöhungen bremsen, ist insbesondere die amerikanische Wirtschaft deutlich näher an einem möglichen Wendepunkt als die europäische. Dank einer höheren Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen, rückläufiger Inflation, einem starken Arbeitsmarkt sowie der erneut beschleunigenden Wirtschaft stehen die Chancen auf baldige positive Erträge an den US-Börsen aktuell deutlich höher. Globale Diversifikation ist das Gebot der Stunde. Auch wenn individuelle Konsequenzen der abkühlenden deutschen Wirtschaft in Form steigender Lebenshaltungskosten und volatiler Einkommensverhältnisse für viele Bürgerinnen und Bürger nicht zu verhindern sein werden, kann ein globales Anlageportfolio zumindest die Einflüsse auf vorhandene Finanzvermögen deutlich reduzieren. Betrachtet man beispielsweise den globalen Aktienindex MSCI World zeigt sich, dass die direkte Entwicklung Deutschlands aufgrund einer Gewichtung von lediglich ca. zwei Prozent keine entscheidende Rolle spielt. Eine gezielte globale Streuung der Kapitalanlage ist daher der effektivste Weg, Vermögen stressfrei durch diese Krise zu bringen.

Deutschland befindet sich an einem Wendepunkt, in dem es für das Wachstum des letzten Jahrzehnts zur Kasse gebeten wird. Die Zeiten günstiger Energie und fortschreitender Globalisierung sind vorerst vorbei und das Geschäftsmodell Deutschland benötigt eine erhebliche Restrukturierung. Während eine angemessene Vorsicht und proaktive Vorbereitung auf diesen Wandel unabdingbar sind, bleibt zu betonen, dass es in unserer Hand liegt diese Realität anzunehmen und ohne Panik eine neue Richtung einzuschlagen.

Sie sind auf der Suche nach hilfreichem Expertenwissen rund um die erfolgreiche Geldanlage?

V-CHECK bietet Ihnen regelmäßig unabhängige Tipps direkt in Ihr Postfach.

Jetzt anmelden

Mit unseren Social Media Kanälen bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Sie finden uns auf: Facebook | LinkedIn | YouTube | Instagram | Pinterest