Epochenbruch - geopolitische Herausforderungen für Unternehmen und Anleger in Deutschland

Epochenbruch - geopolitische Herausforderungen für Unternehmen und Anleger in Deutschland


Die geopolitische Situation hat sich im 3. Quartal des Krisenjahres 2022 durch die neuerlich ausgebrochene Taiwankrise weiter verschärft. Ausgelöst durch den Besuch der Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan am 3. August 2022 haben die bilateralen Beziehungen zwischen den USA und der VR China einen historischen Tiefpunkt erreicht. Das eigentliche Risiko in dieser Krise besteht nicht in dem vielfach befürchteten Angriff Chinas auf Taiwan, sondern in einem Zufallskonflikt, der sich aus der derzeitigen symbolischen Schaukelpolitik zwischen allen Beteiligten ergibt.

In der Kombination aus den wirtschafts- und vor allem energiepolitischen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und der Verschärfung der Konfrontation zwischen China und den USA entsteht eine geopolitische Gemengelage, die im Zusammenwirken mit den Folgen der Pandemie, deutlich gestiegener Inflationsraten und einer befürchteten weltwirtschaftlichen Rezession die wachsende Unsicherheit auf globaler Ebene begründet.

Der Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist nach 6 Monaten in eine Abnutzungsphase übergegangen. Rund 20 % der Fläche der Ukraine sind von russischen Truppen besetzt, ohne dass es in den letzten Wochen nennenswerte Verschiebungen der Frontlinien gegeben hätte. Trotz der materiellen russischen Überlegenheit und der Abhängigkeit von fortgesetzten westlichen Waffenlieferungen ist es den ukrainischen Streitkräften gelungen, den russischen Vormarsch zum Stillstand zu bringen. Noch zeichnen sich keine Verhandlungslösungen mit Blick auf einen Waffenstillstand ab. Ganz offensichtlich ist die russische Führung um Putin gewillt, den wirtschaftlichen Erfolg des eigenen Landes auf dem Altar seiner geopolitischen Ambitionen zu opfern. Nennenswerte Opposition gegen diesen Kurs ist in Russland trotz einiger Anschläge mit unklaren Hintergründen nicht zu erkennen.

Ganz offensichtlich ist Russland bereit, Gas- und Ölexporte weiter als Waffe gegen den Westen einzusetzen, mit dem Ziel, die bislang erreichte Einigkeit in der Reaktion auf den Krieg spätestens durch Energieengpässe im kommenden Winter zu untergraben.

Die Taiwan-Krise vom August 2022

Die Entwicklungen in der mittlerweile vierten Taiwankrise (nach 1954, 1958 und 1995/96) erinnern fatal an den Weg der Staatenwelt in den ersten Weltkrieg, den der Historiker Christopher Clarke mit dem griffigen Titel „Die Schlafwandler“ beschrieben hat. In der Tat hat es etwas schlafwandlerisches, wenn man die einzelnen Eskalationsschritte in ihrer symbolträchtigen Abfolge betrachtet. Auf den Besuch Pelosis folgten die bislang größten chinesischen Militärmanöver im unmittelbaren Umfeld der Insel einschließlich der wiederholten Verletzung des taiwanesischen Luftraums. Auf weitere Delegationsbesuche amerikanischer Abgeordneten antwortete China mit der Veröffentlichung des nunmehr dritten Weißbuches zu Taiwan, das eine deutlich aggressivere Sprache pflegt und den Übergang der chinesischen Politik von „deter independance“ zu „compel reunification“ markiert.

Die USA ihrerseits gossen mit einer weiteren FONOPS (Freedom of Navigation Operations) am 28.8., also der Durchfahrt von zwei US Fregatten durch die internationalen Gewässer der Straße von Taiwan, ebenso Öl ins Feuer wie mit der Ankündigung, das taiwanesische Militär mit 1,1 Mrd. US$ an Waffenlieferungen (u.a. 60 Antischiffsraketen und 100 Luft-Luft-Raketen) unterstützen zu wollen. China verurteilte beide Maßnahmen als Provokation und drohte entsprechende Gegenmaßnahmen an, während das taiwanesische Militär verlauten ließ, auf weitere Verletzungen seines Hoheitsgebietes auch mit Gegenangriffen reagieren zu wollen und wenig später erstmals eine chinesische Drohne abschoss, die in den Luftraum über der kleinen Insel Qinmen (Quemoy) eingedrungen war.

In dieser symbolträchtigen Schaukelpolitik besteht die derzeit größte Gefahr einer Konflikteskalation zu einem heißen Krieg durch Zufall. Die in westlichen Medien immer wieder vermutete Gefahr eines einseitigen chinesischen Angriffs mit dem Ziel, Taiwan unter chinesische Herrschaft zu bringen, dürfte hingegen zumindest auf absehbare Zeit überzogen sein. Zu viele Gründe sprechen – unter den Annahme rationaler Entscheidungsfindung in Peking – gegen eine solche Annahme. Diese Gründe lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Eine notwendige amphibische Landeoperation würde zum derzeitigen Zeitpunkt die Fähigkeiten der Volksbefreiungsarmee übersteigen und zu einer komplexen militärischen Operation ohne schnelle Erfolgsaussicht führen.
  • Das Rüstungsniveau und die militärische Leistungsfähigkeit Taiwans dürften trotz erheblichen materiellen Nachteils das Risiko schwersten Verlust auf Seiten der VBA maximieren.
  • Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Taiwan und China (ca. 120.000 Projekte mit einer Investitionssumme von rund 70 Mrd. US$, hohe Abhängigkeit in der Chip-Industrie, TSMC) ist zwar keine Garantie gegen einen militärischen Konflikt, überlagert und konterkariert allerdings die rein politisch-militärische Zielsetzung.
  • Westliche Sanktionen und der angekündigte Rückzug westlicher Konzerne aus China im Falle eines Angriffs auf Taiwan würden die chinesische Wirtschaft mit einer Krise bis hin zum Kollaps bedrohen.
  • Die Abschreckung durch die „Taiwan Relations Act“ und die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit den USA bedeutet im Falle eines Angriffs, dass China bereit sein müsste, einen unmittelbaren militärischen Konflikt mit den USA und damit einen dritten Weltkrieg zu riskieren.
  • Blowback ist der amerikanische Begriff für ungewollte negative bis katastrophale Auswirkungen auf Chinas Wirtschaft im Falle eines Krieges in der Straße von Taiwan. Zusätzlich droht bei Scheitern des Wohlstandsversprechens als Legitimationsgrundlage der kommunistischen Partei eine Systemkrise, die die führende Rolle der KPCh in Frage stellen dürfte. Das Risiko der innenpolitischen Destabilisierung verhindert insofern außenpolitische Abenteuer. Dies dürfte zumindest für die nächste Amtsperiode des amtierenden chinesischen Präsidenten Xi Jinping gelten.

Insgesamt ist das Eskalationspotenzial zwischen China und Taiwan sowie China und den USA im Vergleich zum Status quo ante gestiegen. Ein offenes Ausbrechen der militärischen Konfrontation würde die Weltwirtschaft in eine Krise stürzen, die die Auswirkungen der Ukraine-Krise um ein Vielfaches übertreffen dürfte.

Krieg, Rezession und Inflation – Sorgen um den Zustand der Weltwirtschaft

Das Zusammenwirken von Kriegs- und Krisenängsten, die vom Krieg in der Ukraine bis zur Taiwankrise reichen, mit Inflations- und Rezessionsängsten treibt Unternehmen und Anleger verständlicherweise um. Derzeit ist nicht davon auszugehen, dass es eine Rückkehr zu den Grundregeln einer globalisierten Weltwirtschaft geben dürfte, wie es sie bis zum Amtsantritt von Donald Trump und dem Ausbruch der Corona Pandemie gegeben hatte. Die (nicht nur in Deutschland) immer stärker erhobene Forderung nach einer Verkürzung und Diversifizierung sensitiver Lieferketten, die stärkere politische Kontrolle von Investitionen (inbound und outbound) und die wachsende Konfrontationsbereitschaft in der Auseinandersetzung zwischen Demokratien und Autokratien zwingen Unternehmer und Anleger zu einem Überdenken ihrer bisherigen Globalisierungsstrategien.

Das neue Zauberwort der „Resilienz“ ist leichter ausgesprochen als umgesetzt. Lieferketten sind eben nicht unter Qualitäts- und Kostengesichtspunkten beliebig ersetzbar. Verlorene oder gefährdete Marktanteile lassen sich eben nicht über Nacht verschieben und ersetzen.

Der Epochenbruch, den die skizzierten Ereignisse markieren, hat erhebliche Konsequenzen für die Positionierung in einer zunehmend unsicheren Welt:

Die geopolitischen Herausforderungen und sicherheitspolitischen Risiken, wie sie sich aus den beiden Großkonflikten dieses Jahres (des Westens mit Russland und der USA mit China) ergeben haben, erzwingen die Einsicht, dass wir vor einer vermutlich längeren Phase wirtschaftlicher Engpässe stehen werden, für deren erfolgreiche Bewältigung ein Blick auf das Erfolgsrezept der chinesischen Entwicklung der letzten 40 Jahre durchaus hilfreich sein dürfte. Die Maximierung von Pragmatismus und Flexibilität, gepaart mit einer Strategie, die nicht auf maximale Ziele, sondern auf ein Schritt-für-Schritt Prinzip setzt, hat China zum Erfolg verholfen. Sie kann auch die Grundlage für einen erfolgreichen Umgang mit den derzeitigen geopolitischen Herausforderungen sein. Einer solchen Politik könnte es im Idealfall auch gelingen zu einem Durchbrechen der Schlafwandler-Politik, die derzeit allseits praktiziert wird, beizutragen.


Diese Einschätzungen dienen ausschließlich der allgemeinen Information. Die geteilten Informationen und Hinweise stellen keine Anlageberatung und/oder Empfehlung dar.

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