Die Welt im Kalten Krieg 2.0 - Eine geopolitische Analyse des zweiten Quartals 2022

Die Welt im Kalten Krieg 2.0 - Eine geopolitische Analyse des zweiten Quartals 2022


Das Jahr 2022 wird als globales Krisenjahr in die Geschichte eingehen. Das zweite Quartal hat diese Entwicklung bestätigt und verschärft. Alle Trends, die sich im ersten Quartal dieses Jahres bereits abgezeichnet haben, entfalten sich unvermindert weiter - und keiner zeigt in eine positive Richtung. Nur allmählich setzt sich die Einsicht durch, dass „Zeitenwende“ (Scholz) und „Epochenbruch“ (Steinmeier) letztendlich mehr Unsicherheit und am Ende wohl auch Wohlstandverlust für uns alle bedeuten werden.

Energie- und Versorgungssicherheit haben innerhalb kürzester Zeit den Spitzenplatz in politischen Prioritätenlisten eingenommen. Für Unternehmen, für Anleger und Investoren und nicht zuletzt für Politiker kommt es darauf an, in diesen schwierigen Zeiten, in denen sich Krisen beschleunigen und überlagern, erfolgreiches Krisenmanagement zu betreiben. Das setzt eine langfristige Perspektive, breite Diversifizierung, maximalen Pragmatismus und Flexibilität voraus, die in die Lage versetzen, auf politische und ökonomische Herausforderungen mit maximaler Resilienz zu reagieren. Die Person des Jahres sollte das Stehaufmännchen sein!

Putins Krieg

Putins Krieg gegen die Ukraine geht mit unverminderter Härte weiter. Nach dem gescheiterten Blitzkrieg und dem Angriff auf die ukrainische Hauptstadt Kiew haben sich die russischen Verbände umgruppiert und im Wesentlichen im Südosten und Süden langsame, aber kontinuierliche Raumgewinne erzielt.

Seit Beginn der Kriegshandlungen gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 rätselt die westliche Welt über die Frage, was Vladimir Putin zu dieser Entscheidung getrieben hat und was seine ultimativen Ziele sind. In den letzten Wochen hat der russische Diktator selbst dafür gesorgt, dass seine Zielsetzungen immer klarer zu erkennen sind, auch wenn einige Debatten im Westen das noch nicht wirklich wahrhaben wollen. Das wohl meist zitierte Zitat aus seinem Munde lautet bekanntlich, der Untergang der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen. Dies will er mit dem selbst gewählten Vergleich zu Peter dem Großen rückgängig machen. Im Klartext bedeutet das: Sollte Putin den Krieg gegen die Ukraine gewinnen und größere Teile oder vielleicht sogar das ganze Land dem russischen Staatsverband einverleiben können, wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht das Ende seiner machtpolitischen, auf Krieg gestützten Ambitionen. Die Republik Moldau, das gesamte Baltikum und vermutlich auch der Vasallenstaat Belarus müssten früher oder später damit rechnen, das gleiche Schicksal wie die Ukraine zu erleiden. Putins Krieg gegen die Ukraine ist längst zu einem Krieg Russlands gegen den Westen geworden. Hoffnungen auf eine zügige Konfliktbeilegung auf dem Verhandlungsweg sind verfrüht – und vergebens.

Vermutlich wird die Berichterstattung über die Gräueltaten des russischen Militärs der Routinisierung des Grauens anheimfallen. Irgendwann sind wir daran gewöhnt, von nächtlichen Raketenangriffen, Zerstörung und Kriegstoten in unseren Morgennachrichten zu lesen und zu hören. Zu Beginn haben wir diesen Krieg in Tagen gezählt, mittlerweile tun wir es in Wochen und Monaten. Dass der ukrainische Präsident den Krieg noch in diesem Jahr beenden will, lässt sich aus seiner Sicht nachvollziehen. Mit der Realität hat das nicht zwangsläufig zu tun. Es steht zu vermuten, dass Putins Krieg gegen den Westen Jahren dauern wird.

Chinas ambivalente Rolle

Chinas zwiespältige Haltung zu dem Krieg in der Ukraine hat sich auch im zweiten Quartal fortgesetzt. Einer der Gründe dürfte darin bestehen, dass der chinesische Präsident in Anbetracht der grassierenden Corona Pandemie, wiederholter massiver Lockdowns in großen chinesischen Städten mit all den dramatischen menschlichen, aber auch wirtschaftlichen Folgen im Vorfeld des 20. Parteitages zunächst einmal gezwungen ist, sich um seine eigene Innenpolitik und d.h. um die Absicherung seiner Machtposition zu kümmern. Noch rätseln Experten, wann genau dieser Parteitag stattfindet und ob es Xi Jinping gelingt, eine weitere Amtsperiode für sich (was derzeit als sicher gilt), vor allem aber die entsprechenden Machtpositionen für seine Unterstützer zu sichern (was keineswegs sicher ist). Unmutsäußerungen in den sozialen Medien über Zero COVID und wachsende Sorgen um wirtschaftliche Einbrüche liefern ein Bild zunehmender Verunsicherung der politischen Eliten. In Peking herrscht im Vorfeld des Parteitages lähmende Erwartung.

Und auch die Sorge, die noch vor 3 Monaten zu hören war, China könnte den Ukraine-Krieg nutzen, um seinerseits gegen Taiwan vorzugehen, ist wohl unbegründet. China lässt sich, wie der ehemalige australische Premier Kevin Rudd  zu Recht feststellt, von niemandem – und schon gar nicht von Russland – seinen Zeitplan der Rückeroberung Taiwans vorgeben.

Blockbildung – Eine Gefahr für Frieden und Wohlstand

Die geopolitischen und geoökonomischen Entwicklungen der letzten Monate geben der Befürchtung Nahrung, dass das Zeitalter des Multilateralismus zumindest vorläufig zu Ende geht. Die meisten multilateralen Institutionen, die nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurden und über viele Jahrzehnte von westlichen Staaten, insbesondere den Vereinigten Staaten von Amerika, dominiert wurden, haben wesentliche Teile ihrer Handlungsfähigkeit verloren. Dies gilt beispielsweise für die Vereinten Nationen, die im Ukraine Krieg keine nennenswerte Rolle spielen. Es gilt für die WTO, die bei offenen Fragen des globalen Handels längst marginalisiert ist. Und nicht zuletzt gilt es für die WHO, die bei der Bekämpfung einer globalen Pandemie von nationalstaatlichen Ansätzen in ihrer Wirkungsfähigkeit ersetzt worden ist. Regionalisierung, Bilateralisierung und Renationalisierung haben multilaterales Handeln längst ersetzt.

Folglich steht zu befürchten, dass die Welt in Machtblocks zerfällt, die sich wirtschaftlich, technologisch und auch militärisch in absehbarer Zeit im offenen Wettbewerb befinden. Die Befürchtungen gelten hier insbesondere der künftig engeren, und nicht nur auf Ressourcen bezogenen Zusammenarbeit zwischen China und Russland, allerdings auch der zunehmend kritischeren und zum Teil aggressiveren Politik der Vereinigten Staaten gegenüber China. Für das Handelsblatt sieht die Welt von morgen in geopolitischer Sicht so aus:

Geopolitische Sorgen

Neben der geopolitischen Konfrontation mit Russland sind im zweiten Quartal des Jahres 2022 Entwicklungen zutage getreten, die die Sorgen um die Fähigkeit westlicher Demokratien zu Bewältigung eines ganzen Bündels von Krisen weiter befördert haben:

Nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich droht innerhalb der Europäischen Union die wichtige Achse Berlin-Paris weiter an Handlungsspielraum zu verlieren. Noch ist es mit knapper Not gut gegangen, ausgesprochen Deutschland feindliche Politiker von den Zentren der Macht in Paris fern zu halten. Ob dies in fünf Jahren noch einmal möglich sein wird, steht derzeit in den Sternen, führt allerdings jetzt schon zu berechtigten Sorgen über die Zukunft des Zusammenhaltes in der EU.

Die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union ist in Anbetracht des Verhaltens einzelner Mitgliederstaaten mehr als gefährdet. Hier hebt sich vor allen Dingen Ungarn mit seiner Verweigerungshaltung gegen Sanktionen gegen Russland besonders deutlich hervor. Die vielbeschworene Einheit des Westens wird in der NATO durch die Türkei konterkariert, die sich beharrlich weigert, die Beitrittswünsche Finnland und Schweden zur NATO zu akzeptieren, solange der Schacher um die eigenen Interessen nicht zur Zufriedenheit von Präsident Erdoğan beendet ist.

In der größten Demokratie des Westens zeigt ein Untersuchungsausschuss des Kongresses mit täglich neuen Details wie knapp die Vereinigten Staaten im Januar 2021 einen Staatsstreich entgangen sind. Und in Anbetracht der düsteren Voraussicht, dass Donald Trump noch einmal im Präsidentschaftswahlkampf antreten könnte, lassen diese Entwicklungen für die Stabilität der amerikanischen Demokratie, aber auch für den Zusammenhalt des Westens und nicht zuletzt der NATO in Anbetracht der russischen Bedrohungen wenig Positives erahnen.

Zu alldem kommen ökonomische Sorgen, die sich aus der Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre in Kombination mit den jetzt ablaufenden Krisen ergeben haben: steigende Inflationsraten, ungelöste Probleme bei globale Lieferketten und die Sorge um den Zugang zu strategisch wichtigen Ressourcen, nicht zuletzt die Energiesicherheit westlicher Staaten in Anbetracht des russischen Erpressungspotenzials mit Öl- und Gaslieferungen werden hier auf Sicht im Vordergrund stehen.

Die fortschreitende globale Krise hat viele Facetten. Im zweiten Quartal des Jahres 2022 sind alle in Erscheinung getreten.


Diese Einschätzungen dienen ausschließlich der allgemeinen Information. Die geteilten Informationen und Hinweise stellen keine Anlageberatung und/oder Empfehlung dar.

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