
Jetzt noch schnell eine Immobilie kaufen

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Zinsen für Immobilienfinanzierungen ein?
Ralph Kinnart: Nachdem wir durch exogene Einflüsse (Finanzmarktkrise 2008 und Corona 2020) Unterstützungen der Kapitalmärkte durch signifikante Zinssendungen, Quantitative Easing etc. erlebt haben, unter anderem mit „Nebenwirkungen“ wie die Berechnung von Verwahrentgelt bei Girokonten, habe ich erwartet, dass bei einer Normalisierung der ökonomischen Gesamtsituation auch eine Rückkehr der Zinsen in eine „normale“ Größenordnung stattfinden wird. Mit Blick auf die aktuelle wirtschaftliche und politische Situation hat sich dies aber mehr rasant denn stetig entwickelt, womit ich jedoch nicht gerechnet habe, sondern eher mit einer langsameren, nachhaltigeren Zinssteigerung. Durch die hohe Inflation wird die EZB wie die Fed reagieren müssen und den Leitzins, der maßgeblich die kurzfristigen Zinsen beeinflusst, anheben. Einerseits wird erwartet, dass dann die Verwahrentgelte noch in diesem Jahr wegfallen werden, andererseits ist dann aber auch die Zeit der sehr günstigen Finanzierungskonditionen offensichtlich und gegebenenfalls dauerhaft vorüber.
Demnach erwarte ich für die nähere Zukunft sowohl bei kurzfristigen als auch bei langfristigen Zinsen ein spürbar höheres Niveau als heute. Es sei denn, dass wieder Gründe auftreten, die eine Einflussnahme der Zentralbanken erforderlich machen. Aber auch das wäre – wie bei den genannten Beispielen – keine gute Nachricht…
Ist die Zinsentwicklung ein guter Grund, jetzt schnell etwas zu kaufen?
Kinnart: Ein Immobilienerwerb sollte nie allein aus Gründen niedriger Zinsofferten gewählt werden. Auch hier sind – wie bei anderen Investments auch – die Rahmenbedingungen zu erörtern, nämlich Lage (Lage, Lage), Infrastruktur, Größe, Alter, Restnutzungsdauer, Modernisierungsgrad oder -aufwand sowie Stil, Ausstattung, gegebenenfalls Vermietungssituation etc. und natürlich der aufgerufene Preis. Für den Fall, dass das Traumhaus zu einem adäquaten Preis gefunden wurde, könnte es sich jedoch lohnen, erforderliches Fremdkapital zeitnah zu beantragen, da bei den Zinssteigerungen noch keine Gegenbewegung erkennbar ist und wir vielleicht in ein paar Monaten erkennen, wie preiswert das Zinsniveau Mitte 2022 noch war. Tatsächlich besteht hier noch viel Luft nach oben, weshalb weiteres Abwarten zu einer höheren Belastung führen könnte.
Was spricht dagegen?
Kinnart: Die Mehrheit der Immobilienerwerber finanzieren zumindest einen Teil der Anschaffungskosten über ein Darlehen. Da sich die 10-Jahres-Konditionen nunmehr binnen weniger Monate weg von einer 0,x % hin zu 2,5-3 % Verzinsung entwickelt haben, was rund einer Verdreifachung des Zinsanteils in der Kreditrate entspricht, werden auf Fremdkapital angewiesene Kaufinteressenten dann Abstand vom Erwerb nehmen, wenn das Objekt nicht mehr in das nachhaltige Familienbudget passt (wozu auch dringend zu raten ist, zumal die Energieversorgungskosten ebenso einen rasanten Anstieg erlebt haben und somit zu einer insgesamt spürbaren Verteuerung der Wohnkosten führen werden). Wenn nunmehr Immobilienofferten nicht mehr so schnell „weggekauft“ werden wie in den letzten Jahren oder wenn beispielsweise plötzlich mehrere Objekte in der gleichen Lage auf den Markt kommen, dann könnte dies dazu führen, dass sich die Verkaufspreise nicht mehr, wie in der Vergangenheit, in schwindelerregende Höhen bewegen, sondern sich an die neue Situation anpassen und sogar wieder fallen können.
Ich vermute, dass in einigen Jahren wieder Häuser auf den Markt kommen werden, mit denen man bisher nicht gerechnet hat. Sei es aufgrund einer viel höheren Zinsprolongation bei Auslauf der Sollzinsbindung oder horrender Energiepreisentwicklung, die die Eigentümer zur Verkleinerung des Familienwohnheims bewegt.
Glauben Sie, dass die Immobilienpreise dauerhaft hoch bleiben beziehungsweise weiter steigen?
Kinnart: Die Immobilienpreisentwicklung steht in direktem Zusammenhang zu Angebot und Nachfrage. Sehr gute Wohnlagen in Top-Städten werden meines Erachtens immer gefragt und teuer bleiben, während Verkäufer in weniger beliebten Stadtteilen oder Gemeinden aufgrund der Zinswende mitunter mit Preisnachlässen kalkulieren müssen. Dies gilt erst recht bei der Immobilie als Kapitalanlage, die sich in manchen Regionen Deutschlands aufgrund der hohen Multiplikatoren (Kaufpreis geteilt durch Nettokaltmiete = Faktor) teilweise nur noch als unterrentabel darstellt. Nur durch die sehr niedrigen Zinskonditionen haben sich manche Objekte noch für den Erwerber gerechnet, dieses Modell könnte demnach nunmehr kippen.
Wenn ich jetzt eine Immobilie kaufen will, wie sollte ich am besten vorgehen?
Kinnart: Ich würde genau so vorgehen, wie in allen Jahren vorher, wenn eine geeignete Immobilie angeboten/gefunden wird:
Schritt 1: Lage, Zustand, anstehende Kosten für Modernisierung, Infrastruktur, Möglichkeit des Energieträgerwechsels eruieren und analysieren; bei Kapitalanlegern zusätzlich die vorhandene Mieterstruktur, Nachfrage an der Wohnlage etc. prüfen. Gegebenenfalls kann in diesem Punkt zur Unterstützung ein erfahrener Gutachter helfen, der mögliche Probleme am Objekt oder vorhandene Schäden rechtzeitig erkennen und dadurch eine Fehlentscheidung oder einen unerwarteten, hohen Kostenaufwand verhindern kann.
Schritt 2: Kalkulation des notwendigen Eigenkapitaleinsatzes sowie der zukünftig entstehenden Kosten für Zins, Tilgung und Nebenkosten inkl. einer Reserve für Unwägbarkeiten gemeinsam mit einem Fachmann kritisch/realitätsnah ermitteln und hieraus ableiten (lassen), ob die Finanzierung des Objekts auf „sicheren Füßen“ steht und nicht zu einer Überschuldung führen kann.
Schritt 3: Mit den vorangegangenen Erkenntnissen in die Kaufpreisverhandlungen einsteigen. Nicht ohne schriftliche Kreditzusage den Kaufvertrag beurkunden, wenn der Einsatz von Fremdkapital erforderlich ist.