
"China muss nur das Grundtempo beibehalten, um die USA zu überholen"

Frage: Regulierungsmaßnahmen und die Sorge um den Immobilienentwickler Evergrande belasten aktuell die Kurse chinesischer Unternehmen. Können Anleger unter den Umständen noch beruhigt in China investieren?
Andreas Görler: Einerseits führt die chinesische Administration Regulierungen durch, die auch die EU oder die Regierung der USA umsetzten möchten. Allerdings ist die Durchsetzung in China extrem stringent und der Zeitpunkt kommt der kommunistischen Partei sehr gelegen, da sie sich aktuell in einer starken Position befindet. Das Vertrauen der Bevölkerung ist hoch, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wurden allgemein goutiert.
Man kann auch anmerken, dass große Unternehmen wie Alibaba, Tencent oder Didi mit einem gewissen Vorlauf gewarnt wurden.
Auch ging es bei der offiziellen Zielsetzung sowohl um Verhinderung von Monopolstellungen Verbraucherschutz und Einhaltung von rechtlichen Standards. Waren es bei Alibaba „Knebelveträge“ der Kunden, die nicht bei Konkurrenzunternehmen abschließen durften, so war es bei Tencent die Reduktion der Verweildauer an Internet-Computer-Spielen. Bei DiDi ging es um die Einhaltung von Mindestlöhnen. Und bei der gesamten Nachhilfeindustrie gab es Probleme, weil sie gesetzlich dazu gezwungen wird die Dienstleistungen nur noch gemeinnützig anzubieten.
Grundsätzlich können chinesische Aktien weiterhin als Portfoliobaustein angesehen werden. Allerdings sollten insbesondere nachhaltig orientierte Anleger berücksichtigen, dass der stringente, pressefeindliche „Staatskapitalismus“, der sich jegliche Einmischung verbietet, offensichtlich gut steuerbare Strukturen bietet. Aber er ist schwer investierbar, da die Zentralregierung sehr direkten Einfluss auf Unternehmen bzw. auf die handelnden Personen nehmen kann. „Sozial“ ist eben auch ein wesentliches Thema bei ESG.
Frage: Wirkt sich die Unsicherheit Ihrer Ansicht nach weiterhin auf Gesamt-Asien oder sogar die weltweiten Börsen aus?
Görler: Zunächst ist es natürlich belastend und insbesondere US-Investoren werden sich tendenziell etwas zurückhalten, wobei solche Kursabschläge auch interessante Opportunitäten bieten können.
China hat im vergangenen Jahr als einzige große Volkswirtschaft der Welt ein positives Wachstum verzeichnet. Das Bruttoinlandsprodukt erhöhte sich um 2,3 Prozent im Vergleich zu 2019. Im vierten Quartal lag das Wachstum bei 6,5 Prozent, im dritten Quartal hatte China noch ein Plus von 4,9 Prozent verzeichnet.
Die Tatsache, dass es sich dabei um das geringste Wirtschaftswachstum seit 1976 handelt zeigt aber auch, wie enorm die Wachstumsraten in der Vergangenheit waren.

Dieses Wachstum für 2020 ist einerseits sehr positiv verdeckt aber auch ein zentrales Problem: Der Konsum kommt nicht zurück. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze ist „nachhaltig“ niedrig.
Hierbei muss man traditionell berücksichtigen, dass die Daten zunächst von Lokalregierungen nach Peking gemeldet werden. Dabei werden Daten oft geschönt, um besser vor der Zentralregierung dazustehen. Aber auch wegen der Bemessungsgrundlage ist die chinesische BIP-Zahl nicht mit Werten anderer Länder vergleichbar.
Es ist trotzdem wahrscheinlich, dass China einfach nur das aktuelle „Grundtempo“ beibehalten muss, um die USA als größte Wirtschaftsmacht zu überholen.
Wenn sich der chinesische Markt weiter öffnen sollte, würde die Bedeutung des chinesischen Aktienmarktes stark ansteigen. Allerdings wäre es hierfür unbedingt nötig, dass die Transparenz auf allen Ebenen deutlich verbessert wird.
Frage: Wie verfahren Sie mit Positionen, die Sie möglicherweise in China aufgebaut haben?
Görler: Der direkte China- Anteil ist in unseren Portfolien sehr gering und bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Über Emerging-Market oder Asien-Fonds ist man zwar beteiligt, aber es gibt derzeit keinen Grund echte Depotumstellungen durchzuführen.
Frage: Sehen Sie Sektoren oder auch Titel, an denen die Krise einfach abperlen dürfte?
Görler: Firmen aus dem Bildungssektor dürften sich bei diesen Vorgaben wohl nicht mehr erholen, da man auf Gemeinnützigkeit kein profitables Geschäftsmodell aufbauen kann.
Sofern man einen aktiven Ansatz wählt und selektiv vorgeht, sind sicherlich die Bereiche Digitalisierung und „Green-Economy“ zu nennen.
Chinas Pharmabranche ist ebenfalls relevant, da hier nach Lösungen für die zunehmend alternde Bevölkerung und die Behandlung von stark aufkommenden „Zivilisationskrankheiten“ wie Diabetes gesucht werden muss. Diese ist schon jetzt die zweitgrößte der Welt und dürfte weiter wachsen, auch dank staatlicher Fördermaßnahmen.
Beim E-Commerce wird Chinas Marktanteil beim Online-Handel bis 2022 wahrscheinlich auf 60% steigen. E-Commerce-Riesen wie Alibaba, dessen Online-Umsätze und Gewinne mittlerweile höher sind als die aller US-Einzelhändler zusammen, werden Umsatz und Ertrag wohl weiter steigern können.
Auch BYD, der weltweit größte Produzent von Akkumulatoren, vor allem für Mobiltelefone, dürfte nach einer Kurskorrektur mittel- bis langfristig ein gutes Investment bleiben, da das Thema Elektromobilität hier eine zentrale Rolle spielt.
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