
Börsenausblick 2022: "Nachhaltigkeit wird noch stärker in den Fokus rücken."

Was werden die beherrschenden Mega-Themen an den Börsen 2022 sein: steigende Inflation, hohe Volatilität, Nachhaltigkeit, Handelskrieg USA-China, Ende der Corona-Pandemie oder…?
Harald Kärcher: Nachhaltigkeit wird 2022 noch stärker in den Fokus rücken als dies aktuell schon geschieht. Das Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung, dass sich etwas ändern muss, ist in den letzten Monaten exponentiell gestiegen. Die Forderungen des Gesetzgebers an die Finanzbranche, den Anleger nach seinem Wunsch einer nachhaltigen Kapitalanlage zu befragen, wird im neuen Jahr dem ohnehin schon präsenten Thema weiteren Schwung verleihen.
Die Entwicklung der Inflation wird ebenfalls zentrales Thema bleiben. Während viele derzeit noch von einer vorübergehenden Erscheinung sprechen (Basiseffekt Mehrwertsteuer, Ölpreisentwicklung), so scheint es derzeit danach auszusehen, als dass uns der Umgang mit steigenden Inflationszahlen weiter beschäftigen dürfte.
Die erheblichen Kosten auf dem Weg zur CO2-Neutralität, ein drohender Arbeitskräftemangel aufgrund des demographischen Wandels, erhöhte Kosten aufgrund des Trends zur De-Globalisierung und stetig steigende Staatsverschuldung. Das sind Aspekte, welche nichts mit einem Basiseffekt zu tun haben und Inflationstreiber sind. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im laufenden Jahr noch eine Inflationsrate von 5 Prozent sehen, könnte es 2022 aufgrund wegfallender Basiseffekte zwar zu einem Rückgang der Inflationsrate kommen, welche allerdings mit 3 bis 4 Prozent weiterhin über dem 2-Prozent-Ziel der EZB liegen dürfte.

Welche Aussichten haben die einzelnen Anlageklassen: Aktien, Renten, Immobilien, Öl, Gold und Rohstoffe? Würden Sie die Quoten der einzelnen Anlageklassen tendenziell eher senken oder anheben?
Kärcher: Aktien, vor allem Value-Titel, haben weiterhin gute Zukunftsaussichten. Vor allem bietet die Aktie als Sachwert (Beteiligung an einem Unternehmen) einen funktionierenden Inflationsschutz. Anleger sollen diese Anlageklasse tendenziell anheben.
Die Zinsen werden voraussichtlich wenn überhaupt, nur moderat steigen. Dies bedeutet, dass bei steigender Inflation die Kaufkraft sinkt, der Sparer also enteignet wird. Aber selbst ein moderater Anstieg der Zinsen sorgt für einen wenig aussichtsreichen Erfolg für die Anlageklasse Renten, wenngleich Rentenpapiere in einem ausgewogenen Depot nicht fehlen sollten. Daher sollten Anleger diese Anlageklasse tendenziell senken.
Immobilien bieten ebenfalls einen guten Inflationsschutz, sind jedoch teuer. Es lohnt sich ein Blick auf die Nutzungsart der Gebäude. Wohnimmobilien und Einzelhandelsflächen dürften aussichtsreicher als Büroimmobilien sein. Der Trend zum Homeoffice wird anhalten und die Nachfrage nach Büroraum tendenziell bremsen. Grundsätzlich halten wir die Beimischung der Anlageklasse Immobilien für richtig und sinnvoll, stocken aber aufgrund der aktuellen Gegebenheiten nicht auf.

Die Preise der Rohstoffe (Basismetalle und Öl) sind in den letzten Monaten förmlich explodiert. Eine Partizipation an den steigenden Preisen ist nur mit Terminkontrakten bzw. Derivaten möglich, da das Halten des Rohstoffs in physischer Form aufgrund in der Regel fehlender Lagerkapazitäten nicht möglich ist. Da innerhalb der Derivate teilweise erhebliche Kosten enthalten sind, wird die Spekulation auf weiter steigende Preise mit stetig steigenden Preisen der Rohstoffe immer riskanter. Auf aktuellem Niveau sehen wir von einer Investition in entsprechende Derivate ab. Dies trifft für Edelmetalle nicht zu. Gold, gegebenenfalls auch Silber und Platin, eignen sich durchaus als Beimischung in einem Depot, da die Preisentwicklung nicht mit den Aktienkursentwicklungen korreliert und folglich risikomindernd wirkt.
Was trauen Sie der deutschen Börse mit dem erweiterten DAX 40 zu?
Kärcher: Für die deutschen Aktien sind wir optimistisch gestimmt. Aufgrund der globalen Ausrichtung sehen wir eine solide Basis für weiter steigende Kurse. Im DAX enthalten sind Werte mit guter Grundsubstanz und sollten in Folge dessen neben attraktiver Dividende auch Kursgewinne bescheren.
Welche Impulse sind von der neuen deutschen Bundesregierung zu erwarten?
Kärcher: Es wird hinsichtlich des Klimawandels einige Impulse geben. Dies könnten neue, zusätzliche Fördermöglichkeiten sein, welche zur Dekarbonisierung beitragen aber auch Auflagen, zum Beispiel an Immobilieneigentümer gerichtet, die dazu beitragen sollen, die CO2-Neutralität zu beschleunigen.
Auf welche Länder und Regionen sollten Anleger 2022 besonders schauen – welche meiden?
Kärcher: Generell lohnt sich der Blick auf alle Länder und Regionen. Die Industrienationen USA und Europa bilden das Fundament eines soliden Depots. Jedoch sollten Chancen, welche die asiatischen Märkte bieten nicht unterschätzt werden. In Japan sahen wir in den letzten Wochen, bei noch vergleichsweise moderaten Bewertungen, überdurchschnittliche Kursentwicklungen. Die Investition in Aktien der Schwellenländer, Schwerpunkt Asien, runden ein ausgewogenes Depot ab.
Welche Unternehmen und Branchen werden 2022 (wieder) erfolgreich sein – und warum? Welche werden auf der Stelle treten oder an Börsenwert verlieren?
Kärcher: Unternehmen der Branchen „Clean Energy“ und „Cyber Security“ werden 2022 weiterhin wachsen. Problematisch sind aktuell bestehende Lieferengpässe. Wir gehen davon aus, dass wir hier im neuen Jahr Besserungstendenzen sehen werden. Solar- und Windkraftanlagenbauer und Betreiber erfahren aktuell starke Umsatzsteigerungen bei noch ausbleibenden Gewinnen. Dies sollte sich im neuen Jahr ändern. Unternehmen, welche sich dem Thema „nachhaltige Nahrungsmittel“ widmen, haben ebenfalls sehr gute Zukunftsaussichten.

Welche Ereignisse (“schwarze Schwäne”) könnten die Aussichten ebenso grundlegend wie überraschend verändern?
Kärcher: Hier fallen mir die fünf folgenden Dinge ein: stark bzw. schnell steigende Zinsen, ein sich zuspitzender Handelsstreit zwischen USA und China, eine überraschende Negativentwicklung hinsichtlich Corona – Pandemie, politische Unruhen in wirtschaftlich wichtigen Gebieten oder eine Immobilien- und damit einhergehende Finanzkrise in China.
Welche Absicherungsstrategien gibt es für 2022?
Kärcher: Auch 2022 wird sich an den Absicherungsmöglichkeiten nichts Nennenswertes ändern. Durch eine breite Streuung über alle Anlageklassen hinweg, mit der Anpassung der Gewichtung entsprechend der oben aufgeführten Punkte, kann ein gutes, der jeweiligen Anlagermentalität entsprechendes Chance-/Risikoverhältnis abgebildet werden.
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