
Tokenisierung wird zum Gamechanger für reale Vermögenswerte
Die Digitalisierung der Kapitalmärkte verändert nicht nur Prozesse, sondern den Charakter des Eigentums selbst. Nach der Etablierung von Kryptowährungen und sicherer Verwahrungslösungen steht mit der Tokenisierung von Vermögenswerten nun eine Entwicklung im Fokus, die die Finanzindustrie tiefgreifend verändern könnte. Für Depotbanken, institutionelle Investoren und Emittenten eröffnet sich damit ein neues Kapitel der Kapitalmarktarchitektur, in dem Effizienz, Transparenz und Zugang neu gedacht werden.
Die Tokenisierung beschreibt die digitale Repräsentation eines materiellen oder immateriellen Vermögenswertes auf einer Blockchain. Dabei wird ein klassisches Asset – etwa eine Immobilie, eine Anleihe oder eine Unternehmensbeteiligung – in digitale Einheiten aufgeteilt und als sogenannte Token ausgegeben. Diese Token sind programmierbare Datenobjekte, die bestimmte Rechte verbriefen, zum Beispiel Zahlungsansprüche, Gewinnbeteiligungen oder Mitspracherechte. Durch die dezentrale Speicherung in der Blockchain lassen sich diese Rechte fälschungssicher dokumentieren, eindeutig zuordnen und unmittelbar übertragen – unabhängig von nationalen Grenzen oder Marktöffnungszeiten.
Granulare Einheiten erlauben eine deutlich feinere Portfoliodiversifikation
Der Vorteil dieser Technologie liegt nicht allein in der Digitalisierung von Vermögenswerten, sondern in der Veränderung der gesamten Infrastruktur rund um Besitz, Handel und Verwaltung. Viele bislang illiquide oder fragmentierte Anlageklassen – wie Immobilienprojekte, Private Equity oder Kunstwerke – werden durch Tokenisierung zugänglich, aufteilbar und handelbar. Dies kann die Eintrittsbarrieren für private wie institutionelle Anleger senken und zugleich die Finanzierungsoptionen für Emittenten erweitern. Die granularen Einheiten, in denen tokenisierte Assets strukturiert werden können, erlauben eine deutlich feinere Portfoliodiversifikation und erhöhen die Attraktivität auch für kleinere Engagements.
Ein zentraler Unterschied zum traditionellen Wertpapier liegt in der automatisierbaren Verwaltung der digitalen Anteile. Smart Contracts ermöglichen es, wesentliche Funktionen – etwa Ausschüttungen, Abstimmungen oder Rückzahlungen – direkt in den Token zu programmieren. Damit entfällt ein erheblicher Teil der klassischen Intermediärstrukturen. Emission, Verwaltung, Handel und Abwicklung können vollständig digitalisiert und in Echtzeit abgewickelt werden. Die Blockchain fungiert dabei als öffentlich einsehbares Register, das Transparenz und Integrität der Transaktionen sichert. Für Investoren bedeutet dies eine neue Form des Vertrauens: nicht in die zentrale Instanz, sondern in die Unveränderlichkeit eines Code-gestützten Systems.
V-CHECK Podcast mit Stefan Lettmeier: Die Rolle der Blockchain im Asset Management

Digitale Wertpapiere ohne aufwändige Börsenzulassung oder kostspielige Intermediäre
Für Unternehmen eröffnet sich mit der Tokenisierung eine neue Flexibilität bei der Kapitalbeschaffung. Digitale Wertpapiere – etwa in Form von tokenisierten Schuldverschreibungen oder Eigenkapitalinstrumenten – lassen sich auf spezifische Projekte, Märkte oder Zielgruppen zuschneiden, ohne aufwändige Börsenzulassungen oder kostspielige Intermediäre. Gleichzeitig können Investoren direkt an der Wertentwicklung einzelner Geschäftsmodelle partizipieren und erhalten im Idealfall einen verlässlichen Rechtsrahmen für ihre Beteiligung.
Dieser rechtliche Rahmen wird insbesondere in Europa zunehmend konkreter. In Deutschland schafft das elektronische Wertpapiergesetz (eWpG) die Grundlage für rein digital ausgestaltete Inhaberschuldverschreibungen, während die europäische MiCA-Verordnung ein einheitliches Regelwerk für Krypto-Assets und deren Anbieter definiert. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat sich als gestaltende Instanz etabliert und sorgt für zunehmende Klarheit im regulatorischen Umgang mit tokenisierten Assets. Dennoch ist die rechtliche und steuerliche Einordnung nicht in allen Bereichen abschließend geklärt. Fragen zur Eigentumssicherung, zur Rolle der Verwahrung und zur Behandlung im Insolvenzfall stehen ebenso im Raum wie Anforderungen an Transparenzpflichten und Anlegerschutzmechanismen.
Tokenisierung gilt als Megatrend der kommenden Jahre
Depotbanken stehen in diesem Umfeld vor einer strategischen Herausforderung – und einer großen Chance. Als etablierte Infrastrukturanbieter verfügen sie über das Vertrauen der Marktteilnehmer, über Expertise in der Abwicklung und Verwahrung und zunehmend auch über regulatorische Klarheit für digitale Geschäftsmodelle. Die Verwahrung tokenisierter Assets, insbesondere solcher, die als Wertpapiere im Sinne des eWpG gelten, erfordert sowohl technische Anbindung an die Blockchain als auch die Umsetzung neuer aufsichtsrechtlicher Anforderungen. Durch die Integration von Tokenisierung in bestehende Strukturen können Depotbanken einen zentralen Beitrag zur institutionellen Verankerung digitaler Assets leisten.
Gleichzeitig sind die technologischen und strukturellen Herausforderungen nicht zu unterschätzen. Die Etablierung einheitlicher Standards, die Interoperabilität unterschiedlicher Blockchain-Protokolle und die Einbindung in bestehende Marktinfrastrukturen wie Zentralverwahrer oder Handelsplätze sind offene Baustellen. Auch die Frage nach der Marktliquidität tokenisierter Vermögenswerte – insbesondere bei neuen, noch wenig gehandelten Assetklassen – bleibt zentral. Hier sind regulatorische Innovation, technische Skalierbarkeit und ökonomische Anreize gleichermaßen gefragt.
Trotz dieser offenen Fragen gilt die Tokenisierung als ein Megatrend der kommenden Jahre. Studien von Beratungshäusern und Finanzinstituten prognostizieren ein weltweites Marktvolumen von mehreren Billionen US-Dollar bis 2030. Tokenisierte Assets könnten damit nicht nur ein Teil der Finanzwelt werden, sondern zu einem ihrer zentralen Fundamente. In einer Zeit, in der Effizienz, Transparenz und digitale Verfügbarkeit zu Schlüsselanforderungen für Investments werden, markiert die Tokenisierung einen strukturellen Wandel. Für Depotbanken ist sie nicht nur technologische Herausforderung, sondern strategische Gelegenheit zur aktiven Mitgestaltung der digitalen Investmentwelt.
Infografik: Klassischer Investmentprozess vs. Tokenisierter Investmentprozess
Klassischer Prozess | Tokenisierter Prozess |
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Emission durch zentrale Instanz | Digitale Emission auf Blockchain |
Verbriefung auf Papier / in Register | Tokenisierung des Assets |
Handel über Intermediäre (z. B. Börsen) | Direkter Peer-to-Peer-Handel möglich |
Verwahrung bei Depotbank | Verwahrung durch Wallet / Custodian |
Abwicklung über zentrale Stellen (z. B. CSDs) | Abwicklung automatisiert durch Smart Contracts |